1. Der Löwe mit dem Brezelschweif

Wie oft kann man an den alten Gemäuern Salzburgs jenen Löwen mit dem Brezelschweif begegnen. Es ist das Wappentier eines großen, ja vielleicht des größten Landesfürsten, der Salzburg Stadt und Land fast ein Viertel Jahrhundert in schwerster Kriegszeit segensreich regiert hat: Paris Lodron.

Die Lodron sind ein uraltes Geschlecht mit ruhmreicher Vergangenheit. An der Wiege dieser Familie, die in ihrer Geschichte berühmte Kriegshelden, Staatsmänner und Kirchenfürsten aufzuweisen hat, sind Geschichte, Sage und Legende in eigenartiger weise vermischt: Der Ursprung des Geschlechtes soll in das 4. Jahrhundert des vorchristlichen Rom zurückgehen und sich aus dem Geschlecht der Lateranenses ableiten, jenem Geschlecht römischer Konsuln und Senatoren, in deren Palast Kaiser Konstantin der Große jene gewaltige Erlöserkirche hineingebaut haben soll, die heute den ruhmvollen Titel caput et mater omnium ecclesiarum Urbis et Orbis trägt und sonst unter dem Namen San Giovanni in Laterano bekannt ist. Die Konsuln Lucius Sextus Lateranus, Marcus Antonius Lateranus, Marcus Juventius Lateranus, Sextilius Lateranus, Appius Lateranus, Plautius Lateranus sind ruhmreiche Namen im Geschlechte der Lateranenses. Der Letztgenannte soll von Kaiser Nero getötet worden sein. Seine beiden Söhne Ämilius und Paris aber seien geflohen – um das Jahr 171 – und hätten sich fern von Rom in jener Gegend niedergelassen, wo jetzt in Welsch-Tirol die Burgen und Schlösser Castel-Roman und Lodron liegen.

Interessant ist, dass diese genealogische Ableitung der Lodron und ihre römische Patrizialwürde,

wenngleich die Sage hier deutlich erkennbar ist, doch jederzeit vom römischen Senat wie von den Päpsten anerkannt wurde.

Auf dem offiziellen Stammbaum der Lodron scheint an der Spitze ein Lanfrank Lateranus auf, der um die Mitte des 11. Jahrhunderts (1050) lebte. Von diesem Stammvater wird das Geschlecht der Lodron in unmittelbarer Folge bis auf die Gegenwart abgeleitet.

In das volle Licht der Geschichte tritt das Geschlecht der Lodron in der Mitte des 15. Jahrhunderts: Im Jahre 1452 erhob Kaiser Friedrich III. die zwei Brüder Georg und Peter Lodron zu Reichsgrafen. Diese Adelserhebung fand am 6. April 1452 in Rom statt anlässlich der Krönungsfeierlichkeiten des Kaisers Friedrich III. Diese beiden Brüder Peter und Georg, Söhne des Paris Otto Lodron, teilten das Geschlecht in zwei nach ihnen benannte Hauptlinien, die Petersche und die Georgische. Aus ersterer entstammt Salzburgs berühmter Fürsterzbischof Paris Lodron.

2. Im sonnigen Südtirol

Ein sonniger Spätherbst zog noch ein im schönen Südtirol und tauchte Land und Berge und Wald in letzte Farbenpracht. Das Stammschloss der Lodron Castel novo, oder im Volksmund Noarna genannt, war in besonders viel Sonnenschein getaucht. Graf Nikolaus Lodron erwartete sich in diesem Spätherbst des Jahres 1586 von seiner Gemahlin Dorothea geborene Gräfin Welsperg den Erstgeborenen und Stammhalter. Sinnend schritt der Graf am 28. November durch die Räume seines Schlosses, während oben im einfachen, weißgetünchten Schlafgemach seine Gemahlin der schweren Stunde, die große Freude bringen sollte, entgegensah. Und der Graf schritt über die alte Zugbrücke, vorbei an den zinnenbekrönten Mauern, durch den starken Torturm, blieb an den Mauern der Hauptfront stehen und bestaunte die schönen Fresken, die sein Urgroßvater Nikolaus durch einen tüchtigen Südtiroler Meister hatte malen lassen und die der Vater Paris vollenden ließ. Im großen Hauptsaal des Kastels, dessen Wände so festlich mit den Wappen des gräflichen Hauses, mit Brezelschweiflöwen, und mit den Wappen verschwägerter Geschlechter der Lichtenstein, Arco, Castelalto und Wolkenstein u.a. geschmückt war, verweilte er länger, hielt Rückschau in die ruhmreiche Vergangenheit seines Geschlechtes und Ausschau in die Zukunft: wird er Großes leisten und dem Wappenschild der Lodron Ehre machen, der heute wohl geboren werden wird? Harte Zeiten waren über Reich und Kirche gekommen seit jener unglückseligen „Reformation“. Was würde die Zukunft noch bringen? Und doch, bei starkem Gottvertrauen, treu zum alten katholischen Glauben und treu zum Kaiser, sei man doch immer des Segens Gottes gewiss und darum kein Grund da zum Verzagt- und Verzweifelt-Sein. Das könne sich der junge Lodron zum Wahlspruch wählen: Nil desperandum! Auch wenn es noch so schwarz kommt, nie ist Grund zum Verzweifeln da. Gott hilft den Seinen, die ihm treu sind, immer weiter. Während der Graf am Fenstersims des Wappensaales lehnend so nachsann und in die herbstliche Landschaft hinausblickte, kam eine Magd mit der Botschaft: es ist so weit! Frau Gräfin bittet, zu kommen.

Und es war wirklich ein gesunder Knabe, dem ihm die Gräfin freudestrahlend entgegenhielt. Der Graf aber machte dem kleinen Stammhalter, dem Erstgeborenen, das Kreuz auf die Stirne. Dann ging er in die Schlosskapelle, um Gott zu danken. Vor dem Bild der Krönung Mariens am Hochaltar der Schlosskapelle empfahl der Graf seinen Sohn der Gottesmutter und seinen beiden Lieblingsheiligen, dem Namenspatron St. Nikolaus und dem Armen von Assisi, dem hl. Fanciskus Seraphicus, denen er zur Rechten und zur Linken des Altares ein schönes Standbild hatte schnitzen lassen. Tags darauf, am 29. November 1586 wurde nach dem hl. Messopfer in der Schlosskapelle dem Neugeborenen das hl. Sakrament der Taufe gespendet und er bekam den in der Familie althergebrachten Namen Paris, den schon der Großvater und der Ururgroßvater und 9 oder 10 andere in der Geschlechterreihe der Lodron vor ihm getragen hatten. Er war der 10. oder nach anderer der 11. Paris in der geschlechterreihe der Lodron. Der Heilige, den so der Knabe zum Namenspatron erhielt – Parisius -, war Bischof von Teano in Unteritalien. Das Martyrologium Romanum berichtet zu seinem Fest am 5. August nichts weiter als dies: „Zu Teano in Kampanien der heilige Bischof Paris“. Aber an erster Stelle heißt es an diesem Tag im offiziellen Festverzeichnis der Kirche: „Zu Rom, auf dem Esquilin, Einweihung der Kirche Mariae Schnee“. Dieses Zusammentreffen des Namenstages mit dem Patrociniumstag der größten Marienkirche Roms und der Welt S. Maria Maggiore, mag im jungen Lodron von Kindheit an innige Marienverehrung geweckt und ihn später veranlasst haben, bei der Erbauung und Ausschmückung des neuen Salzburger Domes den Hauptaltar des rechten Querschiffes dem Feste Maria Schnee zu weihen und ein eigenes Kapitel von Kanonikern dabei zu errichten, nämlich das der sogenannten „Schneeherren“.

Nach dokumentarisch erhaltener Überlieferung besuchte der Knabe täglich zusammen mit seinen Geschwistern, dem Bruder Christoph und den 4 Schwestern Eleonore, Barbara, Beatrix und Margarethe die Dorfschule von Patone, der der dortige Benefiziat vorstand.

Sicher kam der um 50 Jahre ältere Großonkel (genauer Sohn des Bruders des Urgroßvaters von Paris Lodron), Graf Anton Lodron, der Domherr zu Salzburg war und dort 80jährig als Dompropst starb, öfters auf das Stammschloss auf Besuch und wusste in seinem jungen verwandten Paris die Liebe zum Priesterberuf zu wecken. Und wirklich war Paris still, ernst und fromm und zeigte in seinem ganzen Gehaben klare Neigung für das Priestertum. So fanden sich schließlich die Eltern damit ab und sandten ihren Sohn Paris zur Vorbereitung auf das Priestertum nach Ingolstadt.

3. Der Jesuitenschüler

Die bayrische Universität zu Ingolstadt hatte unter dem größten Gegner Luthers, Dr. Johannes Eck eine theologische Blütezeit erlebt. Ingolstadt war für die deutschen Katholiken gleichsam zu dem geworden, was Wittenberg für die Protestanten war. Nach Jahren des Verfalles kam diese Universität wieder zu neuer Blüte, als Herzog Wilhelm IV. die Jesuiten auf sie berief. Als der junge Paris Lodron hier seine Studien begann, waren zwar keine solchen theologischen Größen mehr da wie einstmals vor etwa 40 Jahren Petrus Canisius und Le Jay und Salmeron. Immerhin wirkten aber auch jetzt an der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert bedeutende Philosophen und Theologen aus der Gesellschaft Jesu an der Ingolstädter Universität. Der bedeutende Theologe Gregor von Valencia, der seit 1575 in Ingolstadt lehrte, zuletzt sich aber ausschließlich der Herausgabe seines Werkes „Commentarii theologici“ widmete, war eben (1598) nach Rom berufen worden, um im „Gnadenstreit“ die Gesellschaft Jesu tapfer zu vertreten. Aber Gregor von Valencia hatte einen ebenso bedeutenden Nachfolger gefunden im berühmten Jakob Gretser, der seit 1592 Philosophie und dann seit 1598 auch scholastische Theologie lehrte. Gretser genoss als Mensch und Gelehrter großes Ansehen bei Ferdinand II. und Max von Bayern, bei Papst Klemens VIII. und bei Gelehrten wie Robert Belarmin und Markus Welser. Er war einer der besten Gräzisten seiner Zeit und machte auf seine theologische Hörerschaft gewaltigen Eindruck vor allem durch seine tiefe, von reichem Wissen zeugende Erklärung und Verteidigung der katholischen Liturgie und Aszese. Die bedeutendste schriftstellerische Frucht, die gerade damals unter Gretsers Feder heranreifte, war das 5-bändige Werk De cruce Christi (Ingolstadt 1598-1600-1605), ein Werk, das eine Fülle archäologischer, kirchengeschichtlicher und aszetischer Stoffe enthält. Auch aus Gretsers Schriften über das Leben der Heiligen und gegen den Irrglauben und auch aus seinen religiösen Dramen mag des jungen Paris Lodrons religiöse Haltung stark beeinflusst worden sein. Ein anderer bedeutender Lehrer Lodrons in Ingolstadt war wohl der Moraltheologe Paul Laymann S. J., der 1603-1609 in Ingolstadt Philosophie dozierte. Einen bedeutenden Studienkollegen in der Philosophie (1597-1600) und Theologie (1605-1609) hatte Lodron in Ingolstadt im Jesuitenscholastiker Christoph Scheiner, dem späteren berühmten Mathematiker, Physiker und Astronomen. Im Jahre 1604 hielt Paris Lodron in Ingolstadt eine öffentliche Disputation, die im gleichen Jahr im Druck erschien unter dem Titel „Disputatio philosophica de varietate scientiarum et artium“.

Noch während seiner Studien wurde Paris Lodron zum Domherrn des Domkapitels seiner Heimatdiözese Trient ernannt. Aber nicht dieser Diözese sollten seine Dienste gelten.

Kaum hatte Paris Lodron seine Theologiestudien beendet, da wurde am 12. Jänner 1606 er auch zum Domherrn von Salzburg ernannt. Sicher hatte dies sein Großonkel, Anton Graf Lodron vermittelt, der wenige Tage später (16.01.1606) zum Dompropst von Salzburg aufstieg. Dieser wollte seinen jungen, verheißungsvollen Vetter an Salzburg fesseln. Er bewog ihn, seine Verpflichtungen der Salzburger Erzdiözese gegenüber von allem Anfang an ernst zu nehmen und seinen Dienst in Salzburg anzutreten.

4. Der Dompropst von Salzburg

Nachdem Paris Lodron neun Jahre als Domkapitular, rückte er nach dem Tode seines Großonkels (10. Dez. 1615, 80jährig) auf ausdrückliches Verlangen des damaligen Fürsterzbischofs Markus Sittikus von Hohenems an die Stelle des Verstorbenen vor und erhielt die erste Dignität im Domkapitel und wurde Dompropst.

5. Der Fürst

Als 4 Jahre später der Erzbischof selber starb, wählte das Domkapitel wenige Wochen später, am 13. November 1619 den erst 33jährigen Dompropst Paris Graf Lodron zum Fürsterzbischof von Salzburg.

Der damals 80jährige Vater Graf Nikolaus unternahm trotz des hohen Alters und trotz der Winterzeit die beschwerliche Reise von seiner Besitzung unweit Rovereto nach Salzburg, um seinen Sohn bei der feierlichen Bischofsweihe und Inthronisation zu beglückwünschen.

Aber auch das ganze Salzburger Land war zu beglückwünschen über diese glückliche Wahl. Denn es sollte sich zeigen, dass in Paris Lodron einer der besten Bischöfe und einer der fähigsten Landesfürsten den Bischofsstuhl des hl. Rupertus bestiegen hatte. Der päpstliche Legat C. Carafa, der in seiner Relatione del stato dell‘ impero e ecllesia in Germania (herausgegeben von J.G. Müller im Archiv f. österr. Geschichte XXIII., Wien 1860, p. 105-449) zeigt, dass er die kirchlichen Verhältnisse Deutschlands von damals ausgezeichnet kannte, rühmt den Salzburger Fürsterzbischof Paris Lodron als den besten der deutschen Prälaten, die er kennenlernen konnte. (l.c.p. 333; vgl. L.v. Pastor, Geschichte der Päpste XIII/ 1, p. 362).

Und sein großer Südtiroler Landsmann, der bedeutende Mystiker Bruder Thomas von Bergamo O. Cap. (1563-1631), der für die Ausbreitung des Kapuzinerordens und für die Erhaltung des katholischen Glaubens in Süddeutschland (Tirol, Bayern, Salzburg, Innerösterreich, Böhmen und Mähren) ganz Großes leistete, schrieb in einem Brief aus dem Jahre 1620, seinen Landsleuten die religiöse Lage in Süddeutschland schildernd, folgendes über Paris Lodron: „In Salzburg sitzt Graf Paris von Lodron auf dem erzbischöflichen Stuhle, euer Landsmann, o Südtiroler, mein besonders inniger Freund, in dessen Brust eine so innige Liebe zum Heile des wahren Glaubens flammt, dass er auf dieser Seite allen Versuchen der Irrlehrer siegreich trotzt. Ich habe ihm seine Würde ein Jahr zuvor vorausgesagt, und freue mich unendlich, dass mir der heißeste Wunsch in Erfüllung gegangen ist. Rom hat zu ihm Vertrauen, und er Kraft und Geistesgröße, dasselbe glänzend zu rechtfertigen. Er behielt mich mehrere Tage an seinem Tische, nur mit Mühe schied ich von diesem Kirchenhaupte, das Gott auf den Leuchter gestellt gegen das leidige Irrsal einer bösen Zeit“ (vgl. Beda Weber, Johanna Maria vom Kreuze und ihre Zeit, Ein Lebensbild aus dem 17. Jahrhundert, 3. Aufl. Regensburg 1877, p. 48).