28. Sonntag im Jahreskreis - C

gehalten im Hohen Dom zu Salzburg am 13.Oktober 1974

Die Kraft des Wortes Gottes

 

Vor ein paar Wochen sind die "Erinnerungen" von Kardinal Mindszenty in Buchform erschienen, in denen der echte Mindszenty uns mit unwiderstehlicher Überzeugungskraft entgegentritt. Dieses Buch ist ein "Denkmal der Wahrheitsliebe, der Glaubenstreue und des persönlichen Mutes", hat der berühmte Speckpater Werenfried van Straaten in seinem "Echo der Liebe" (Nr.7/1974) geschrieben. Fast ein Drittel seines Lebens hat Mindszenty im Gefängnis zugebracht. Er hatte schon unter dem Nationalsozialismus zu leiden, seit 1948 war er dann fast ununterbrochen der Freiheit beraubt; er hatte kaum die Möglichkeit, aktiv zu wirken und zu handeln; trotzdem hat er mehr getan als viele andere Kardinäle, Bischöfe und Priester. Er hat für den Glauben gelitten, er hat darum gebetet und unsagbar viele Opfer gebracht, dass seinem ungarischen Volk unter dem atheistischen Regierungssystem der Glaube nicht verlorengehe und er war überdies ein lebendiges Symbol für die Freiheit des Glaubens. Was aber gab ihm die Kraft, die jahrzehntelange Freiheitsberaubung und sogar die furchtbare Tortur einer schaurigen Gehirnwäsche während des gegen ihn aufgezogenen schandvollen Schauprozesses auszuhalten?

Ich meine, dass uns die Epistel des heutigen Sonntags aus dem 2. Brief des hl.  Paulus an Timotheus auf diese Frage die Antwort geben kann. Dieser Paulusbrief ist nämlich in einer ganz ähnlichen Situation der Kirche geschrieben worden, wie sie Kardinal Mindszenty in seinem vom atheistischen Kommunismus beherrschten Land erleben und erleiden musste.

Zunächst wird in dieser Epistel der Kern der christlichen Botschaft in einem einzigen Satz zusammengefasst: "Timotheus, denk daran: Jesus Christus, der aus Davids Geschlecht stammt, ist von den Toten auferweckt worden! Das ist mein Evangelium, für das ich zu leiden habe und für das ich sogar wie ein Verbrecher gefesselt bin. Aber das Wort Gottes ist nicht gefesselt und lässt sich nicht fesseln!" Paulus weist also zum Beweis für die Tatsache, dass sich das Wort Gottes nicht fesseln lässt, auf sein eigenes Beispiel hin: Häufig wurde er eingekerkert, ständig war er verfolgt und gehetzt, schließlich in lange Haft gesetzt und der Freiheit beraubt, in Rom vor Gericht gestellt, zuletzt — das sah Paulus damals schon voraus — sollte er als Märtyrer durch Enthauptung sterben. Trotzdem breiteten sich die Gemeinden, die Paulus nach klarer, eindringlicher Verkündigung des Wortes Gottes gegründet hatte, immer mehr aus und wuchsen wunderbar. Paulus selbst war also von den politischen Machthabern seiner Zeit gefesselt, drangsaliert und zuletzt hingerichtet worden, das Wort Gottes aber, das er verkündet hatte, konnten sie nicht fesseln, es breitete sich wunderbar aus, es konnte einfach nicht totgeschwiegen werden, es war Samenkorn, das aufging und Frucht brachte, 10fach, 30fach, 100fach.

Die damals den hl. Paulus gefangengesetzt, gequält und hingerichtet haben, sind längst vergangen und vergessen, die Botschaft des hl. Paulus, das Evangelium, das er gepredigt und für das er gelitten hat, ist geblieben und lebt und hat immer noch wunderbare Lebenskraft in sich und lässt sich nicht fesseln.

Was von Paulus hier gesagt wurde, gilt in ähnlicher Weise von Kardinal Mindszenty. Das Wort Gottes, das Wort der Wahrheit lässt sich nicht fesseln. Es dringt auch durch Kerkermauern und sibirische Strafgefangenenlager, wie mir ein in Italien eben erschienener Sammelband von ergreifenden Samizdat gläubiger Russen in erschütternder Weise zeigt.

Wir sollten viel stärker an die unwiderstehliche Kraft des Wortes Gottes im Evangelium glauben und sollten viel dankbarer dafür sein! Das will uns das heutige SoEv beibringen: In einem Dorf kommen 10 aussätzige Männer Jesus entgegen. "Jesus, Meister, erbarme dich unser!" So schreien sie voll Vertrauen. Und der Herr spricht zu ihnen ein Wort, durch das er diese Menschen scheinbar unerhört von sich wegweist: "Geht und zeigt euch den Priestern!" Aber die 10 Aussätzigen glauben dem Wort Jesu und gehorchen ihm. So kann sich auch in diesem Wort Jesu eine wunderbar heilende          Kraft offenbaren. Auf dem Weg zu den Priestern werden sie von ihrem Aussatz geheilt.

Wie oft hat sich auch sonst die Kraft, des Wortes Gottes, damals bei den Wundern und Krankenheilungen gezeigt, die Jesus wirkte. Der heidnische Hauptmann v. Kapharnaum hat dies großartig erfasst, als er den Herrn um Heilung seines gelähmten Knechtes bat und der Herr sich daraufhin sogar bereit erklärte, in das Haus des Hauptmanns zu kommen, um den Kranken an Ort und Stelle zu heilen. Der Hauptmann aber sprach in tiefem Glauben "Herr, ich bin ja (als Heide) nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort und mein Knecht wird gesund!"

Nochmals sei es gesagt: Wir glauben alle viel zu wenig an die heilende, helfende, erleuchtende, tröstende, sündentilgende Kraft des Wortes Gottes, des Wortes Jesu. – Die echten Boten des Wortes Gottes werden auch heute noch wie einst verspottet und verhöhnt, gequält, gefesselt und mundtot oder ganz tot gemacht. Bei der Bischofssynode in Rom haben in den vergangenen Tagen die beiden Kardinäle Slipy und Wyszinski sehr offen darauf hingewiesen. Aber das Wort Gottes lässt sich nicht fesseln und hat immer noch eine wunderbare Kraft in sich. Auch sogar in Russland. Ein Samizdat, ein Brief des jahrelang eingekerkerten, jetzt aber aus seiner Heimat ausgewiesenen russisch-orthodoxen Schriftstellers Anatol Levetin-Krasnow bestätigt es; er schrieb da an Papst Paul VI.: "Die heutige Jugend Russlands ist eine unruhige Jugend, in ihr brodelt es, und leidenschaftlich sucht sie nach neuen Wegen, wobei der religiöse Durchbruch für eine recht erhebliche Anzahl von Buschen und Mädchen charakteristisch ist... Denn die Fälle häufen sich, in denen etwa in Moskau Söhne und Töchter führender atheistischer Kommunisten vom Wort Gottes gepackt sich taufen lassen... Diese jungen Menschen, die neu zu Christus und zur Kirche gefunden haben, sind dann meist von unerhört missionarischem Drang erfüllt, sie führen dann ihrerseits immer mehr Burschen und Mädchen zu Gott und zu Christus." Das Wort Gottes ist nicht gefesselt und lässt sich nicht fesseln und unterdrücken, auch nicht bei uns in Russland!

Was hier einer von Russland geschrieben hat, das gilt auch für die USA, Die dort entstandene Jesus-Bewegung und Pfingstbewegung unter jungen Menschen, die von Sex und Rauschgift genug bekommen haben und zum Evangelium, zum Wort Gottes, zur Frohbotschaft von Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, der auch für unsere verworrene Zeit Weg, Wahrheit und Leben ist, gefunden haben, ist ein Beweis für die gleiche Tatsache: Das Wort Gottes lässt sich nicht fesseln, lässt sich nicht ersticken, auch nicht im Sex und Rauschgift, es hat eine wunderbare Lebenskraft in sich. Wir sollten viel mehr daran glauben und viel mutiger und vertrauensvoller darauf bauen und sollten viel dankbarer dafür sein!

Sehen Sie, das war der große Fehler bei jenen neun wunderbar durch das Wort des Herrn vom Aussatz Geheilten! Nur ein Einziger fand es der Mühe wert, für die wunderbare, heilende und reinigende Kraft, die vom so befremdlichen, unscheinbaren Wort Jesu: "Geht und zeiget euch den Priestern“ ausging, zu danken und dafür Gott zu loben und zu preisen.

Der Herr sagt zu diesem einen, dankbaren Menschen: "Dein Glaube - Dein Glaube an das Wort, das Ich zu euch gesprochen habe - hat dir geholfen! Stehe auf und gehe!"

Dem Wort Gottes glauben und dann aufstehen und gehen, um dieses mächtige Wort Gottes, die Frohbotschaft Jesu Christi zu verkünden, mutig, unverfälscht und unverkürzt, das wäre unser aller Aufgabe! Und aus dem Glauben an das Wort Gottes, das sich nicht fesseln, nicht abwürgen, nicht ersticken lässt, leben! Dieser Auftrag gilt uns allen, vor allem jenen, die sich immer wieder vom personalen Wort Gottes, vom menschgewordenen ewigen Wort Gottes im Bußsakrament und in der Eucharistiefeier reinigen, heilen, stärken, trösten und erleuchten lassen! Amen.