26.Sonntag im Jahreskreis C

gehalten in St. M. Loreto am 28.9.1986

 

Alle Menschen sind - so heißt es im Grundrechtekatalog guter Staatsverfassungen, in der UNO-Deklaration über die Menschenrechte, sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention - vor dem Gesetz gleich, völlig gleichberechtigt. Wie aber sieht meistens die Wirklichkeit aus? Wie sah die Wirklichkeit zur Zeit Jesu aus? Das Beispiel, das der göttliche Heiland im heutigen SoEv bringt über den reichen Prasser und den armen Lazarus, ist da so vielsagend. Denn es wird da in knappen Strichen ein wahrhaft erschütterndes Bild der Ungleichheit zweier Menschen gezeichnet: der eine lebt in Saus und Braus, in Jubel und Trubel, er prahlt mit seinem Reichtum und verprasst ihn ohne jede Rücksicht auf den Mitmenschen; der andere liegt "draußen vor der Tür", arm und hilflos, am Verhungern und Verkommen, ein Auswurf der Menschheit; die Hunde kommen und lecken das Eiter aus seinen Geschwüren, mit denen sein Leib bedeckt ist.

So arg mag die Ungleichheit heute nicht mehr allzu oft sein. Und doch könnte Mutter Theresa von Kalkutta auf ganz ähnliche, ebenso erschütternde Bilder in jener indischen Stadt hinweisen, auf einen milliardenreichen indischen Maharadscha und daneben auf einen verhungernden, halbnackten, sterbenden Kuli im Straßengraben zeigen. Aber auch bei uns im sogenannten christlichen Abendland und nicht bloß in den Entwicklungsländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas gibt es noch Ungleichheit genug unter den Menschen.

Wie kann diese Ungleichheit überwunden werden?

Vielleicht muss hier zuerst betont werden, dass eine gewisse Ungleichheit nie ganz überwunden werden kann. Die Menschen sind doch schon von Geburt an sehr verschieden; es gibt ja keinen Standardmenschen nach einheitlichem Schema, Maß und Gewicht und Begabung. Vielleicht schafft ihn noch der moderne Fortschritt beim künstlich im Glas gezüchteten und genmanipulierten Menschen, wenn da einmal der neue Mensch gleichsam vom Fließband kommt. Aber nach dem Willen des Schöpfers ist das nicht der Fall: Die angeborene Verschiedenheit der Menschen nach Farbe und Rasse, Erbanlage und Begabung ist unübersehbare und wohl auch unüberwindbare Tatsache: Denken wir nur an die verschiedenen Begabungen und an das oft sehr verschiedene Maß an Talenten sogar bei Geschwistern; und wer z.B. das Zeug zu einem großen Künstler, zu einem großen Wissenschaftler hat, hat begreiflicherweise auch Chancen, die ein anderer nicht hat; so ist der Start ins Leben schon ein sehr verschiedener; und wer eine  besonders starke Gesundheit hat, ist wiederum anderen ein gutes Stück voraus. Außerdem spielt das sogenannte Glück im Leben eine Rolle; dem einen fällt es förmlich in den Schoß, der andere kann es nie erreichen und ist sein Leben lang ein Pechvogel.

Alle diese Ungleichheiten können hier auf Erden nie ganz behoben und überwunden werden; sie können nur erträglich gemacht werden durch soziale Gerechtigkeit und durch eine Liebe, die immer darum weiß, dass vor Gott alle Menschen nicht bloß in den ihnen zustehenden Menschenrechten, sondern vor allem in der ihnen eigenen Menschenwürde völlig gleich sind.

Das zu beachten fordert uns der Herr im Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus auf mit der Mahnung, den im Leben zu kurz Gekommenen und Benachteiligten in sozialer Gerechtigkeit und vor allem mit Liebe zu Recht zu verhelfen, und zwar hier auf Erden, denn drüben in der Ewigkeit werde sicher einmal der gerechte Ausgleich kommen. Da werde dann kraft der unendlichen Gerechtigkeit des göttlichen Richters, dem sich jeder Mensch einmal zu stellen hat, vielfach die Rollen vertauscht werden. Einmal kommt ganz sicher der gerechte Ausgleich im ewigen Lohn und in der ewigen Strafe. Und diese werden vor allem danach zugeteilt, wie jemand auf Erden durch Liebe bemüht war, einen Ausgleich zu schaffen im Gedanken daran, dass jedem Menschen, auch dem Ärmsten, die gleiche Menschenwürde zukommt, weil jeder Mensch Geschöpf Gottes, Kind Gottes ist, begabt mit den kostbaren Gaben des Verstandes und des freien Willens und mit Persönlichkeitswert, und jeder Mensch, auch der Ärmste erlöst ist durch das kostbare Blut des Erlösers und bestimmt ist für das ewige Glück im Haus des gemeinsamen Vaters im Himmel.

Auf die Liebe käme dem benachteiligten und armen Mitmenschen gegenüber alles an. Nicht Verachtung und Geringschätzung darf man ihn spüren lassen, sondern Gerechtigkeit und Liebe. Das haben die Heiligen großartig verstanden. Ich denke da z.B. an jenen Heiligen, dessen Fest wir kürzlich gefeiert haben: Vinzenz von Paul, der als wahrer Freund der Armen, der Witwen und der Waisenkinder, ihnen geholfen hat in einer ergreifenden, ganz selbstlosen Liebe im Gedanken an den menschgewordenen Sohn Gottes, der sich mit den Armen identifiziert und sich ihnen gleichgemacht hat. In einem Brief schrieb dieser Heilige folgendes: "Wir dürfen die Armen nicht danach beurteilen, wie sie gekleidet und äußerlich gepflegt sind, auch nicht nach ihren Geistesgaben. Wenn ihr die Armen im Lichte des Glaubens anseht, dann werdet ihr erkennen, dass sie den Sohn Gottes vertreten, der die Armut erwählt hat. Christus wollte arm geboren werden, Er sammelte Arme als Jünger um sich und wurde selbst der Diener der Armen. Er machte ihr Los so sehr zu seinem eigenen, dass Er sagen konnte, alles Gute oder Böse, das einer den Armen erweist, das erweist er Ihm selbst...."

Und weil Gott den Armen liebt, liebt Er auch alle Menschen, die den Armen lieben. Denn wenn einer jemand lieb hat, dann umfasst er in Liebe auch alle, die jenem Freundschaft entgegenbringen und dienen. Darum hoffen auch wir, dass Gott uns wegen der Armen liebt. Wir wollen sie darum besuchen und uns der Schwachen und Armen annehmen, und zwar mit einem so herzlichen Mitleid, dass wir das Gefühl des Apostels Paulus teilen können: "Allen bin alles geworden." Wir wollen danach streben, dass wir, im Herzen von der Sorge und dem Elend der Mitmenschen bewegt, Gott um das Gefühl des Mitleids und Erbarmens bitten: Er möge unser Herz damit erfüllen und, wenn es damit erfüllt ist, darin dann bewahren. Der Dienst an den Armen ist allem anderen vorzuziehen..."

Gott lohnt unsere Liebe zu den Armen einmal überreich. Wie aber ergeht es jenen, die für die Armen nichts übrig haben als nur Verachtung und Geringschätzung? Da brauchen wir nur zusehen, wie es dem reichen Prasser erging, der kein Herz hatte für den Bruder in Not vor seiner Tür. Er hat sich im Erdenleben bei allem Reichtum, der ihm zur Verfügung stand, der Not des Mitmenschen total verschlossen, damit aber hat er sich zugleich der Liebe und Gnade Gottes verschlossen; nun fehlt ihm diese für immer und ewig.

Das wird von Christus im Gleichnis ungemein anschaulich geschildert: Der arme Lazarus ist in der Ewigkeit in Abrahams Schoß, das heißt in der Wärme und Geborgenheit des Vaterhauses Gottes im Himmel.

Der Reiche aber schmachtet in der Hölle, in unendlicher, unüberbrückbarer Entfernung vom liebenden Gott. Nur die Fingerspitze, an der ein winziger Tropfen Wasser hängen geblieben ist, wäre dem reichen Prasser in seiner jetzigen Not und Verlassenheit in der Hölle schon eine ersehnte Hilfe und Erquickung. Doch die Fingerspitze reicht nicht bis zu ihm hinüber, sie reicht nicht über die Tiefe und Weite des Abgrunds, der sich zwischen Himmel und Hölle auftut.

So hat sich nun das Blatt gewendet: Der eine in der beglückenden und beseligenden Geborgenheit in Gott, im ewigen Glück des Himmels; der andere in furchtbarster Einsamkeit, Hilflosigkeit und Verlorenheit, in der ein Tropfen Wasser schon als Königreich empfunden würde.

Etwas ist noch besonders zu beachten am Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus: Der reiche Prasser, so wird uns erzählt, hat fünf Brüder auf der Erde zurückgelassen. Es wird nun zwar nicht ausdrücklich gesagt, aber man kann es zwischen den Zeilen lesen: Auch diese fünf Brüder führen ein leichtsinniges Prasserleben; sie sind jedenfalls auch in größter Gefahr, auf ewig verlorenzugehen. Da muss ihnen noch rechtzeitig, bevor es zu spät ist, eine eindrucksvolle Vorwarnung zukommen. Das ist nun die auf einmal sehr selbstlos vorgebrachte Bitte des reichen Prassers in der Hölle: Nachdem er für sich selbst keinerlei Erleichterung der ewigen Qual in der Hölle hat erreichen können, möchte er wenigstens seinen fünf Brüdern, die noch auf Erden leben, das gleiche Los ewiger Verworfenheit und Verdammung ersparen. Es möge ihnen doch jemand zur Warnung gesandt werden. Aber auch diese Bitte wird dem Verdammten abgeschlagen. Gott sagt ihm aber in einer sehr harten Sprache: Die noch auf Erden Lebenden haben ja Mose und die Propheten: Bei diesen können sie ja ohnedies genau nachlesen, was Gott für die Ewigkeit verfügt hat, um jene zu bestrafen die sich um ihre Brüder in Not und Armut nie gekümmert haben und die sich nie um einen gerechten Ausgleich für alle ungerechte Ungleichheit unter den Menschen auf Erden gesorgt haben.

Und dann heißt es in der Antwort Gottes auf die Bitten des Verdammten: "Wenn auch einer aus dem Jenseits zu ihnen käme, sie würden ihm ja doch nicht glauben!" Ob das nicht ganz besonders für die Menschen unserer Zeit zutrifft. Wir haben nicht bloß Mose und die Propheten im AT, wir haben im NT das klare Wort des menschgewordenen Sohnes Gottes, der nach seinem Erlösertod am Kreuz in seiner Auferstehung wirklich aus dem Jenseits zurückgekommen ist: Glaubt man Ihm? Glaubt man seiner Botschaft von den Letzten Dingen (Tod, Gericht, ewiger Vergeltung in Himmel oder Hölle)? Glaubt man seinen klaren Worten, die da beispielsweise lauten: "Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber schaden leidet an seiner Seele!?" Oder: "Fürchtet nicht jene, die zwar den Leib töten können, der Seele aber nichts anhaben können; fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in das Verderben der Hölle stürzen kann." Nimmt man solche Worte Jesu denn heute wirklich noch ernst, wo doch so viele die Unsterblichkeit der Seele und das Fortleben im Jenseits leugnen und so dahinleben, als wäre wirklich mit dem Tod alles aus? Und dann die klaren Worte Jesu über die sehr reale Möglichkeit ewiger Verdammnis in der Hölle. Nimmt man sie denn noch ernst? 25mal hat der Herr, der die Sünde gehasst, aber die Sünder geliebt hat und ihnen wie ein guter Hirte dem verlorenen Schaf nachgegangen ist um sie zu retten, 25mal hat dieser Herr Jesus von der ewigen Hölle gesprochen. Heute tut man diese seine Worte als überholten Mythos oder als Kinderschreck ab und kümmert sich nicht mehr darum; und man kümmert sich noch weniger um Gottes Gebot; man setzt sich vielmehr frivol darüber hinweg. Gott aber sagt eindeutig klar auch den Menschen unserer Zeit: „Ich bin der Herr, dein Gott! Du sollst...Du sollst nicht.“ Und Gott stellt uns seine Gebote klar vor Augen, auch wenn wir Menschen in unserem freien Willen darauf trotzig antworten: „Nein, ich gehorche Dir nicht, ich bin mein eigener Herr und tue, was ICH will!“

Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus ist jedenfalls ungemein aktuell. Beachten wir es und beherzigen wir es und bemühen wir uns vor allem immer wieder um die rechte, hilfsbereite, selbstlose Liebe, hüten wir uns vor jeder Lieblosigkeit und vor jeder Geringschätzung und Verachtung des Mitmenschen, vor allem des Bruders in Not. Amen