24. Sonntag im Jahreskreis – C

 

 

gehalten in Parsch am 12.9.1971

 

Selten einmal im Lauf des Jahres ist das SoEv. so sehr Evangelium, d.h. Frohbotschaft wie heute: Diese drei Gleichnisse vom verlorenen Schaf, von der verlorenen Drachme und vom verlorenen Sohn zeigen uns nämlich so ergreifend, wie groß Gottes verzeihende Liebe zum Sünder ist. Ja, es ist für Gott eine größere Freude, Sündern, die umkehren und sich bekehren, zu verzeihen, als Gerechte zu belohnen. Gott freut sich mehr darüber, wenn er einem Sünder verzeihen kann, als wenn er einen Gerechten belohnen kann!

Überdenken wir diesen Satz. Er ist nämlich bedenkenswert! Auf eine solche Idee wäre nämlich kaum je ein Mensch gekommen, wenn Jesus sie uns nicht mit aller Deutlichkeit kundgetan hätte. Und wenn man die 4 Evangelien einmal daraufhin durchliest, stellt man fest, dass Jesus diese Meinung nicht etwa nur einmal bloß und nur so am Rande und aus Versehen gleichsam geäußert hat, nein, wir befinden uns dabei vielmehr am Kernpunkt seiner ganzen Botschaft: Gottes Liebe gehört besonders denen, die diese seine Liebe nicht verdient haben, ihrer gleichsam unfähig und unwürdig sind.

Gibt es eine Erklärung für diese grundlos selbstlose Liebe Gottes, in der er gerade solche Menschen besonders liebt, die seine Liebe gar nicht verdienen, weil sie durch ihr Sündersein gar nichts Liebenswertes in den Augen Gottes an sich haben?

Mir fällt da die Frage ein, die Christus einmal an seine Jünger gerichtet hat: "Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, was tut ihr da schon Besonderes? Tun das nicht auch die Heiden?" (Mt 5,46f). Tatsächlich, bei uns ist es ja meist so, dass fast alles, was wir tun und was wir geben, auch die Liebe, auf Gegenseitigkeit beruht: "Eine Hand wäscht die andere". "Wie du mir, so ich dir!" Das sind meist die Grundregeln für unseren Umgang mit den anderen. Alle Versicherungen beruhen auf diesem Prinzip: Wir zahlen regelmäßig unseren Betrag ein und haben dafür im Notfall Anspruch auf Entschädigung.

Verhandeln manche auf dieser Basis der Wechselseitigkeit nicht auch mit Gott? Etwa wenn sie folgende Milchmädchenrechnung aufstellen: "Ob es einen Gott gibt oder nicht, das kann ich nicht entscheiden, will ich auch gar nicht entscheiden. Es könnte ja tatsächlich sein, dass es einen Gott gibt. Und vor allem Dingen: Man weiß ja wirklich nicht, was nach dem Tod alles kommt, es könnte ja wirklich so sein, dass es auch so etwas wie eine Hölle gibt. Wer will das Gegenteil beweisen? Dieses Risiko will ich nicht auf mich nehmen. Für alle Fälle will ich mich absichern. Dafür gibt es ja schließlich die Kirche. Die Kirche stellt leider harte Versicherungsbedingungen: Man muss die Kirchensteuer zahlen, und was schlimmer ist: Man muss einmal in der Woche eine schwache Stunde lang im Gotteshaus anwesend sein. Das ist zwar unangenehm, aber man nimmt das noch in Kauf mit derselben Miene, mit der man den monatlichen Beitrag für Krankenversicherung zahlt. Noch schlimmer ist, dass man auch noch überdies einmal im Jahr zur Osterbeichte gehen und die Osterkommunion empfangen soll. Sei´s wie's sei. Ich nehme auch das noch in Kauf. Auf jeden Fall bin ich dann unfallversichert für die Ewigkeit, versichert gegen Gott. Er kann mir dann nichts anhaben nach dem Tod. Dann muss es ja glatt gehen für den Fall, dass es nach dem Tod doch noch etwas gibt."

Das war jetzt etwas überspitzt formuliert. Aber man sage mir ja nicht, dass nicht gar manche Christen solche Überlegungen anstellen: Man versichert sich für den Fall der Fälle...

Die drei Gleichnisse im heutigen SoEv zeigen uns, dass Gott seine Liebe voller Freude auch und gerade denen schenkt, die seine Liebe nicht verdienen. Dazu gerade ist der Sohn Gottes Mensch geworden, um zu suchen, was verloren war; und er erklärte ausdrücklich, dass nicht die Gesunden des Arztes bedürfen, sondern die Kranken, und dass nicht die 99 Schafe im Schafstall seiner besonderen Sorge und liebenden Umsicht bedürfen, sondern das in die Irre gegangene Schaf und dass nicht der daheim gebliebene Sohn der besonderen Sorge und Liebe des Vaters bedarf, sondern der verlorene Sohn.

Und sind wir nicht alle arme Sünder, die gar sehr der verzeihenden Liebe und der suchenden Sorge des barmherzigen Gottes, des Guten Hirten Jesus Christus bedürfen? Leider werden jene, die noch praktizieren, gar leicht von der pharisäischen Selbstgerechtigkeit des daheim gebliebenen Sohnes befallen, sodass sie sich beklagen, wenn der Vater in seiner suchenden, sorgenden Liebe immer wieder Ausschau hält nach den davongegangenen, in die Irre gegangenen Söhnen und Töchtern.

Im Verzeihen kann die Liebe erst ihre wahre Größe zeigen, weil dabei dem Schuldigen ein Vorschuss an Vertrauen geschenkt wird. Und so zu handeln ist eben die größte Freude Gottes.

Paulus hat das erlebt am Stadttor von Damaskus, als ihn, der bis dahin Jesus gelästert, verhöhnt und verfolgt hatte, von dem Gnadenstrahl der verzeihenden Liebe des Herrn getroffen wurde. Maria Magdalena hat dies erlebt. Ebenso die Ehebrecherin. Ebenso der rechte Schächer. Ebenso unhlige andere Sünder.

Auch wir, denen der Herr im Sakrament der Buße schon so oft alle Sünden verziehen hat, auch große und größte Sünden. Und wie oft hat er uns Sünder schon zu Tisch geladen und Mahlgemeinschaft mit uns gehalten, so wie er es damals gemacht hat, als ihm die Pharisäer vorwarfen: "Er lässt sich mit den Sündern ein und isst sogar mit ihnen!"

Ja, wir können nur dankbar staunen über diese verzeihende, suchende, sich um das Heil des irregegangenen, verlorenen Sünders sorgende Liebe des Herrn.

Wir dürfen diese grundlose Liebe Gottes aber ja nicht missverstehen, als ob die Sünde in den Augen Gottes, in den Augen Christi eine Bagatelle wäre.

Nein, Jesu Urteil über den Sünder und über die Sünde ist ganz eindeutig: Der Sünder ist in seinen Augen ein Verlorengegangener. Er ist in seinen Augen einer, der zugrundegeht, wenn er nicht wiedergefunden wird; er ist einer, den man suchen muss und einer, der reumütig umkehren muss. Es wird von Christus in den drei Gleichnissen des heutigen SoEv wahrlich nicht bestritten, dass der Sünder ein Sünder ist und dass die Sünde Sünde ist.

Aber gerade deshalb sagt Jesus über den Sünder und zum Sünder etwas ganz anderes als die Pharisäer, nämlich, dass auch er, der Sünder, Gott gehört, weil auch er Geschöpf Gottes ist, durch das kostbare Blut des Erlösers am Kreuz erlöst worden ist um einen wahrhaft teuren Preis, und dass auch er, der Sünder ein verlorengegangenes Schaf aus er Herde Christi, des Guten Hirten, ein verlorengegangener Silberdenar aus seinem Vermögen ist. Und es ist dem Herrn selbstverständlich, dass auch er, der Sünder, ja gerade er, gesucht werden muss mit unsagbar viel Liebe.

Es ist dem Herrn auch selbstverständlich, dass die Sünde etwas Furchtbares ist, die den Sünder zerrüttet, von Gott trennt und vom ewigen Leben ausschließt. Umso mehr aber sucht eben der Gute Hirte den Sünder und hat Erbarmen mit ihm. Und umso größer ist die Freude des Guten Hirten, die Freude Gottes und seiner Engel, wenn der Sünder, das verlorene Schaf, die verlorene Drachme, der verlorene Sohn, wieder gefunden ist.

Gott freut sich nicht an der Sünde, er hasst sie und richtet sie.

Gott freut sich auch nicht über den Sünder. Aber er hat unendliche Sorge um ihn und schaut unentwegt nach ihm aus. Ob wir, die wir das unverdiente Glück haben, in der Gnade Gottes zu sein, nicht auch Ausschau halten sollten? Das Gebet um die Bekehrung der Sünder. Die Sorge, die Seelsorge um jene, die in Gefahr sind, auf ewig verloren zu gehen! "Suchen und retten, was verloren war". Das ist die Art des Guten Hirten. Helfen wir ihm dabei.

Eine Heilige, die zuerst selber eine große Sünderin war, die hl. Margareta von Cortona, hat dies glänzend verstanden: Sie besaß nach ihrer Bekehrung die Gabe, alle Sünder, die zu ihr kamen, auch die hartnäckigsten, umzustimmen und für den Frieden mit Gott vorzubereiten. Hatte sie ihnen das Gewissen ordentlich aufgerüttelt und mit ihnen Reue erweckt, dann schickte sie jeden zu ihrem Beichtvater, damit er das Werk der Bekehrung in einer guten Beichte vollende. Das wurde aber dem Priester allmählich zu viel, denn es waren keine gewöhnlichen Sünder, die ihm die hl. Margareta v. Cortona zuschickte, sondern solche, die allerlei Mühlsteine am Hals hängen hatten. Daher entschlüpfte diesem Beichtvater einmal der derbe Ausdruck: "Ich bedanke mich dafür, dass ich immer nur einen Stall ausmisten soll!" Da offenbarte der Herr der hl. Margareta von Cortona, diese Rede ihres Beichtvaters habe ihm sehr missfallen; sie solle ihm sagen: Wenn dieser Beichtvater wüsste, welch schöner Tabernakel durch die Bekehrung aus jenem Stall wird, mit dem er die Seele des Todsünders verglichen hat, so würde er sich niemals über diese Arbeit beschweren, die ihm die Beichtkinder verursachten. Denn im Himmel sei eine größere Freude über einen einzigen Sünder, der sich bekehrt und Buße tut, als über 99 Gerechte, die der Buße nicht bedürfen!