22. Sonntag im Jahreskreis

gehalten in Meckenbeuren am 27.8.1983

 

Ein einflussreicher Pharisäer hatte Jesus zu Tisch geladen. Sicher nicht, um ihn zu ehren, sondern nur, um diesem Zimmermannssohn aus Nazareth auf die Finger zu schauen und Anklagepunkte gegen ihn zu sammeln. Denn dass dieser Jesus in den Augen der Pharisäer des Todes schuldig ist, war schon längst beschlossene Sache; nur fehlten für ein Todesurteil noch die handfesten Beweise.

Bei Tisch beobachtet man nun nicht nur die Tischmanieren Jesu. Man führt auch Tischgespräche mit Ihm. Dabei zeigt sich nun, wie Jesus ihre schlechten Tischmanieren beobachtet hatte. Er hatte beobachtet, wie sich die geladenen Gäste die besten Plätze ausgesucht hatten ohne jede Rücksicht auf die anderen: Ein trauriges Schauspiel unschönen Drängens im Sinn von Ellbogentechnik in der Eroberung der ersten Plätze war da dem Herrn vorgespielt worden.

Da fängt nun Jesus im Tischgespräch an, den Pharisäern und allen Geladenen ein Gleichnis zu erzählen: "Wenn du von jemand zu einem Festmahl geladen bist, setz dich nicht auf den besten Platz! Denn es könnte vom Gastgeber jemand eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber kommen und zu dir sagen: Mach für ihn Platz! Du aber müsstest dich dann zu deiner Beschämung auf den letzten Platz setzen. Wenn du eingeladen bist, setz dich lieber auf den letzten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rücke weiter hinauf! Das wird dir dann Ehre einbringen bei allen anderen Gästen!“

Glauben Sie jetzt ja nicht, es gehe in diesem Gleichnis Jesu nur um eine harmlose Seite aus einem ebenso harmlosen Anstandsbuch. Es geht dabei auch nicht nur um eine Mahnung zu christlicher Bescheidenheit und Demut, sondern um viel mehr, sonst hätte es sich nicht recht gelohnt, dass uns der Evangelist Lukas dieses Tischgespräch Jesu aufgezeichnet hat und die Kirche uns dieses Gleichnis am heutigen Sonntag in der Eucharistiefeier als Wort Gottes zur Kenntnis bringt.

Es geht in diesem ganzen Ev. um eine eigenartige Dialektik, hinter der der ganze Heilsplan und Erlösungsplan Gottes für uns Menschen sichtbar wird: Diese Dialektik und ihren Sinn versteht man in der ganzen Tiefe nur dann, wenn man zuerst auf den Menschen in der gesamten Menschheitsgeschichte vom ersten Menschen Adam angefangen schaut, und dann auf den menschgewordenen Sohn Gottes Jesus Christus, den zweiten, neuen Adam.

1. Wie hat es der Mensch von allem Anfang an gemacht? Er wollte sich erhöhen, er wollte Gott gleich werden, er war mit dem ihm von Gott zugedachten Platz nicht zufrieden. Auf die falsche Selbsterhöhung folgte als Strafe die Erniedrigung. Aber immer ist es so geblieben in der Menschheit und in der menschlichen Gesellschaft, so dass ein kluger Mann unserer Tage neben dem bekannten Parkinsonschen Prinzip auch noch ein anderes Prinzip entdeckt hat, von dem die menschliche Gesellschaft beherrscht werde. Und dieses Prinzip, nach seinem Entdecker Peter Peter-Prinzip genannt (vgl. Peter und Hull, Das Peter-Prinzip, Hamburg 1970) sieht so aus: Jeder drängt nach oben bis zu dem Platz, den er nicht mehr ausfüllen kann. Wo er versagt, da bleibt er sitzen, auf der Stufe seiner Inkompetenz. Am Ende sind alle Plätze mit Unfähigen besetzt, die ersten Plätze jedenfalls... Vielfach ist es sicher so gewesen und immer noch so in der Politik, im Staat, teilweise auch sogar in der Kirche. Und keiner von uns darf sich diesem Peter-Prinzip überlegen dünken. Jeder von uns verfällt ihm gelegentlich. Das ist der menschliche Stolz, die menschliche Überheblichkeit und Überschätzung seiner Fähigkeiten, seines Wertes, seiner Würde. Da redet man so viel von Gleichheit und Brüderlichkeit. Jede Revolution der Neuzeit hat diese Parole auf ihre Fahne geschrieben. Es soll keinen Unterschied mehr geben unter den Menschen. Wenn es aber darauf ankommt, das dann unter Beweis zu stellen, will doch jeder der Erste sein. Das ist der Mensch im Drang nach den ersten Plätzen: Der Stolz, die falsche Selbsteinschätzung und das überhebliche Herabschauen auf die anderen, sobald er einmal hochgekommen ist.

Hoch und niedrig, oben und unten, Obrigkeit und Untergebene. Man sagt heute so schnell, das seien Ausdrucksformen überholter feudalistischer Herrschaftsstrukturen in Staat und Kirche, in Gesellschaft und Gemeinschaft. Und viele Zeitgenossen reagieren äußerst allergisch auf solche Kategorien und sagen allen, auch den notwendigen und berechtigten Rangordnungen in Kirche und Gesellschaft den Kampf an. Aber der Feind, der hier bekämpft wird, hat sich längst auf anderem Wege wieder eingeschlichen. Denn unsere Leistungsgesellschaft produziert am laufenden Band neue Formen von ersten und letzten Plätzen und stimuliert und suggeriert fortwährend den Menschen die Frage: wie komme ich nur nach oben? Dabei hat "oben" viele Namen: wie Karriere, Gehaltsstufe, Statussymbol, Sozialprestige, Publicity u.a. Das Rennen um die ersten Plätze ist nach wie vor in der Menschheit im vollen Gang.

2. Und nun schauen wir uns Jesus Christus an, den neuen Adam, den menschgewordenen Sohn Gottes, der uns das wahre Menschsein in ergreifender Weise vorgelebt hat. Wie heißt es von ihm im Philipperbrief des hl. Paulus? Er, der Gott gleich war, entäußerte sich selbst, nahm Knechtsgestalt an und ward in seiner äußeren Erscheinung ganz wie ein Mensch, er erniedrigte sich und ward gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod an Kreuze!(vgl. Phil 2,6-11) Wahrlich, Er hat den ersten Platz aufgegeben, um den letzten Platz einzunehmen als Diener aller, als Bruder aller, als Opfergabe und Speise für alle. Darum konnte Er mit Recht erklären: "Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösepreis für die vielen!" Bei seiner Geburt lag Er in einem Futtertrog in einem Stall, weil in der Herberge für Ihn kein Platz war. Bei seinem Tod hing Er, der Schuldloseste und Heiligste, zwischen zwei Verbrechern. Während seines öffentlichen Lehrens und Wirkens aber hatte Er nichts, wohin Er sein Haupt legen konnte. Bei seinem letzten Mahl, das Er seinen Jüngern bereitete, tat er Sklavendienste an diesen und wusch ihnen die Füße und sprach zu ihnen: "Ein Beispiel hab' ich euch gegeben, damit auch ihr tut, wie ich euch getan habe!" Und im Altarssakrament machte Er sich zur Speise für alle, für reich und arm, für hoch und niedrig Das ist die Selbsterniedrigung des Sohnes Gottes! Wahrlich, Er hat für sich den letzten Platz ausgesucht. Auf Ihn sollte man schauen und nicht auf jene, die so viel von Gleichheit und Brüderlichkeit reden und sich dann doch so überlegen gebärden über die Kleinen!

Gott wird einmal ganz anders urteilen! Er hat es uns durch seinen menschgewordenen Sohn sagen und vormachen lassen: "Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden:" Darum heißt es ja auch von Jesus Christus dort, wo von seiner Erniedrigung und seinem Gehorsam bis in den Tod am Kreuze die Rede ist, weiter: Darum hat ihn Gott erhöht und Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist, auf dass im Namen Jesu jedes Knie sich beuge und jede Zunge bekenne: Jesus Christus ist der Herr in der Herrlichkeit Gottes, des Vaters!

Klein und demütig sein! Vor Gott sind wir alle arme Sünder, die sich vom unendlich freigebigen Gott nur beschenken lassen können. Was allein macht uns groß in den Augen Gottes? Die Nachfolge Christi, die Nachahmung Christi und die Gleichgesinntheit mit Ihm, der sich identifiziert hat mit den Kleinen, Bescheidenen, mit jenen, die nichts gelten in den Augen der Welt. Darum auch am Schluss des heutigen Evangeliums die Mahnung, das Gute zu tun nicht dazu, damit es uns von den Menschen und von der Welt wieder vergolten wird, sondern das Gute so tun, dass es die Welt und die Menschen gar nicht beachten. Dann kann es uns Gott vergelten, der ins Verborgene sieht! Amen