11. Sonntag im Jahreskreis  - C

gehalten in St. M. Loreto am 14.6.1998

 

Beim eucharistischen Opfermahl ist immer wieder Christus der Gastgeber, der alle, die an seine wahre Gegenwart in der hl. Eucharistie glauben und sich frei von schwerer Sünde wissen, einlädt: "Nehmet hin und esset....Nehmet hin und trinket...!"

Im heutigen Sonntagsevangelium ist es einmal umgekehrt: Der einladende Gastgeber ist da nicht Christus, sondern ein Pharisäer namens Simon. Christus aber ist diesmal ein in böser Absicht eingeladener Gast. Zu Ihm gesellt sich dann noch ein höchst ungeladener Gast, nämlich eine stadtbekannte Sünderin, die einen eigenartigen Kontrast bildet sowohl zu dem eingeladenen Herrn Jesus Christus mit seiner strahlenden Reinheit und Sündelosigkeit, als auch zu dem selbstgerechten Pharisäer Simon, dem Gastgeber bei diesem Mahl.

Sehen wir uns die drei Hauptfiguren im heutigen Sonntagsevangelium näher an:

1. die ungeladene stadtbekannte Sünderin: Sie hatte wohl von der Anwesenheit Jesu im Haus des Pharisäers Simon erfahren. Mit diesem Jesus, von dem sie wohl schon mehrfach gehört hatte, dass Er sich aller leiblich und seelisch Leidenden in ergreifender Liebe und Güte annehme, wollte sie unbedingt zusammenkommen, um vor Ihm gleichsam ihr Herz ausschütten zu können, weil sie vor ihrem bisherigen Leben Ekel und Reue empfand. Sie machte sich nun in einer den Gastgeber schockierenden Weise an Jesus heran, warf sich vor Ihm auf die Knie, weinte, benetzte die Füße Jesu mit ihren Tränen, trocknete sie mit ihrem aufgelösten Haupthaar, küsste Jesu Füße und salbte sie mit dem mitgebrachten Salböl.

2. Die zweite Figur im Drama des heutigen Sonntagsevangelium: Der Gastgeber, der Pharisäer Simon: Er ist entsetzt über das Verhalten der Frau, zu der ein selbstgerechter Pharisäer nur verächtlich herabschauen konnte. Er ist noch mehr entsetzt über Jesus, den von ihm geladenen Gast: Wie kann dieser Jesus von dieser Frau all das, was sie jetzt mit Ihm treibt, geschehen lassen? Müsste Er diese Frau nicht sofort entrüstet zurückweisen oder richtiger zurückstoßen? Aber da zeigt sich eben ganz klar: Dieser Jesus ist kein Mann Gottes, kein Prophet, für den er gehalten wird, denn wenn er das wäre, so müsste er doch wissen, dass diese Frau eine öffentliche Sünderin, eine stadtbekannte Dirne ist, deren Berührung unrein macht! Ein Prophet hätte ja die nötige Herzenskenntnis. Damit stand für den Pharisäer Simon das Urteil über Jesus fest. Er sprach es zwar nicht laut aus, obgleich es ihn sicher ganz stark dazu reizte und er wohl am liebsten die Mahlgemeinschaft mit diesem im Letzten und Tiefsten ja doch verachteten Jesus v. Nazareth aufgehoben hätte.

3.Da geht nun unser Blick auf die dritte und wichtigste Figur im Drama des heutigen Sonntagsevangelium: auf Jesus. Das, was es diesmal an Ihm festzustellen gilt, ist vor allem dies: Er besaß die Ihm vom Pharisäer Simon abgesprochene Herzenskenntnis. Er besaß sie sogar in staunenswertem, über Menschenmaß hinausgehendem Ausmaß: Er kannte die Herzen, sowohl das des Pharisäers Simon als auch das der Frau, die sich ihm nicht etwa in sinnlicher, sexueller Leidenschaft, sondern in ganz tiefer Reue genähert hatte. Wie sehr Jesus die Herzen beider kannte, zeigt das nun folgende Gespräch: "Simon, ich möchte dir etwas sagen." "Meister, sprich!" So erwiderte der Gastgeber mit wiedererlangter Selbstbeherrschung und formaler Höflichkeit. Und nun erzählte Jesus ein Gleichnis, das seine Herzenskenntnis und seine Herzensgesinnung zu tiefst offenbart:

Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm 500, der andere 50 Denare schuldig. Und weil sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er beiden die Schuld.— Wieso, warum und weshalb, das wird nicht gesagt. Nur das Faktum wird berichtet und das ist höchst sonderbar. Denn wo gibt es so etwas im menschlichen Bereich, dass ein Geldverleiher die ihm geschuldete Summe einfach erlässt und schenkt? Ein normaler Geldverleiher rechnet doch mit Zinsen, die er für das Herleihen des Geldes bekommt und rechnet erst recht mit der gewissenhaften Rückzahlung des ausgeliehenen Betrages. Hier im Gleichnis Jesu aber schenkt der Geldverleiher beiden Schuldnern die Schuld, die große wie die kleine. Ist das nicht eigenartig und höchst ungewohnt? Ungewohnt jedenfalls bei uns Menschen. Ob auch bei dem, dem gegenüber wir alle große Schuldner sind? Gewiss, wir wüssten nichts von der großmütigen Art des barmherzigen Gottes, dem reuigen Sünder alle Schuld zu erlassen, wenn es uns nicht Jesus Christus geoffenbart hätte...

Und nun folgt die Frage Jesu an den Pharisäer: Wer von den beiden, denen der Geldverleiher die Schuld erlassen hat, wird ihn mehr lieben? Der Pharisäer konnte darauf gar nicht anders antworten als nur so: "Ich nehme an, der, dem mehr erlassen und geschenkt worden ist, wird den großmütigen Geldverleiher mehr lieben!" "Du hast recht geantwortet!" So sagte Jesus zum Pharisäer. Und nun wurde der Herr sehr konkret und sagte: "Schau dir doch diese von dir so verachtete Frau an! Sie hat mich in tiefer Reue über ihre Sünden mit Liebeserweisen aus reuigem Herzen heraus nur so überhäuft, während du mir bei meinem Kommen jede einem Gast üblicherweise geschuldete Höflichkeit verweigert hast und mich frostig und kalt und überdies nur in böser Absicht eingeladen und empfangen hast. Deshalb sage ich dir: Ihr werden viele Sünden vergeben, weil sie mir jetzt so viel Liebe in aufrichtiger Reue erzeigt hat!"

Dann wandte sich der Herr zur Sünderin und sprach über sie die Lossprechungsworte: "Deine Sünden sind dir vergeben!"

Wurden sie auch dem Pharisäer vergeben? Ihm konnten sie ja gar nicht vergeben werden. Er war sich ja in seiner heuchlerischen Selbstgerechtigkeit der eigenen Sündhaftigkeit und Erbärmlichkeit gar nicht bewusst! Er kannte darum auch keine Reue, die doch die notwendigste Voraussetzung für jede Sündenvergebung ist. Er hat ja überdies seinem Gast Jesus Christus die Macht der Sündenvergebung gar nicht zugetraut. Er dachte sicher genau so wie die übrigen Gäste bei diesem Mahl: "Was ist das doch für ein Mensch, dass er sogar Sünden vergibt?!" Und er dachte sicher genau so wie jene Pharisäer, die sich entsetzt hatten, als Jesus bei anderer Gelegenheit einem Gelähmten die Sünden vergab: "Wer kann Sünden vergeben als nur Gott allein?!" Damals heilte Jesus nicht nur die kranke, sündenbefleckte Seele des Gelähmten, sondern seinen kranken Leib, um dadurch zu beweisen, dass er, der Menschensohn, nicht bloß Herzenskenntnis, sondern auch Macht hat auf Erden, Sünden zu vergeben.

Jesus hat diese Sündenvergebungsgewalt nicht nur jenem Gelähmten gegenüber ausgeübt und nicht nur der öffentlichen Sünderin gegenüber im heutigen Sonntagsevangelium, sondern auch der Ehebrecherin gegenüber, die von selbstgerechten Pharisäern auf frischer Tat ertappt und zur Steinigung vor Jesus hingeschleppt worden war; auch noch am Kreuz oben auf Golgota hat Jesus dem rechten Schächer gegenüber diese seine Sündenvergebungsgewalt ausgeübt. Und er hat diese Gewalt am Abend des Ostersonntags den Aposteln und ihren Nachfolgern übertragen: "Empfanget den Hl. Geist! Wem ihr die Sünden nachlasset, dem sind sie nachgelassen...!"

Eine wichtige Feststellung sei hier aber noch gemacht, die gerade durch das heutige Sonntagsevangelium stark herausgestellt wird: Jesus gewährte Sündenvergebung immer nur unter gewissen Bedingungen, die auf Seiten der Sünder erfüllt sein mussten: Nur der reuigen Sünderin im heutigen Sonntagsevangelium, nur der reuigen Ehebrecherin, nur dem reuigen rechten Schächer, die alle in aufrichtiger Reue ihre Sündenschuld eingestanden und bekannt haben, wurde Sündenvergebung gewährt. Dem selbstgerechten Pharisäer wurde dies verweigert. So ist es geblieben bis heute: Die Gnade der Sündenvergebung wird nach dem Willen des Gottmenschen Jesus Christus, der in seinem Opfertod am Kreuz dem himmlischen Vater für alle Sündenschuld der Menschheit unendliche Sühne geleistet hat, dem Sünder nur zuteil, wenn er seine Sünden einsieht und bereut, wenn er sie demütig eingesteht in einem aufrichtigen, ehrlichen Sündenbekenntnis und wenn er ernste Umkehrbereitschaft zeigt in echter Bußgesinnung und Liebe. Das alles zeigte die öffentliche Sünderin, das alles aber fehlte dem selbstgerechten Pharisäer.

Wenden wir das alles zuletzt auf unsere heutigen Situation an: Heute wird doch oft so großzügig drauflosgesündigt, von Umkehrbereitschaft und Bußgesinnung, von echter Liebesreue und Bereitschaft, sich demütig in der Beichte anzuklagen, ist aber nicht mehr viel zu spüren. Statt der pharisäischen Selbstgerechtigkeit und Überheblichkeit (nicht bloß den Mitmenschen, sondern sogar Gott gegenüber) täte uns allen, die wir ausnahmslos arme Sünder sind und der verzeihenden Barmherzigkeit Jesu Christi so sehr bedürfen, die Reuegesinnung jener Frau so Not, von der im heutigen Sonntagsevangelium die Rede ist.

Wenn das vergangene Fronleichnamsfest uns wieder die rechte Hochschätzung des Altarsakramentes beibringen wollte, so möchte uns das heutige Sonntagsevangelium wieder die rechte Hochschätzung des Bußsakramentes beibringen, die heute weithin fehlt. Danken wir dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn bei der gegenwärtigen eucharistischen Opfermahlfeier einmal von Herzen nicht bloß dafür, dass er immer wieder der wahrhaft göttliche Gastgeber ist, sondern uns im Sakrament der Buße auch die Möglichkeit eröffnet hat, um unsere Sündenschuld loszuwerden und dann mit reinem, von schwerer Schuld freiem Herzen an diesem göttlichen gastlichen Mahl teilzunehmen im Empfang des Leibes und Blutes Christi. Amen.