24. Sonntag im Jahreskreis – Lj B

gehalten in Parsch am 13.9.1970

 

Von der Heilung eines Taubstummen durch Christus war am letzten Sonntag im Evangelium die Rede. Heute zeigt es sich im Evangelium, ob wir alle nicht solcher Heilung von der Taubstummheit bedürfen, denn es ist heute davon die Rede, dass Jesus v.N. der Messias ist, der nach Gottes Willen das Leiden und Sterben auf sich nimmt und dass darum jeder sich zum Leiden, zum Kreuztragen bereit machen muss, der ihm nachfolgen und sein Jünger sein will. Der Botschaft vom Kreuz gegenüber sind wir alle aber meist sehr schwerhörig, wenn nicht sogar ganz taub. Opfer und Kreuz sind doch heute weithin Fremdwörter geworden, die man nicht begreifen und verstehen will.

Sehen wir uns nun der Reihe nach das heutige SoEv an:

 

1. Da steht zuerst die Frage Jesu an seine Jünger: Für wen halten mich die Leute? Die Apostel hatten für diese Frage Jesu verschiedene Antworten bereit; sie wussten ganz genau, was man im Volk von Ihm dachte und sagte; sie hätten auch noch einige andere Antworten geben können, etwa diese: Sie halten dich für einen großen Wundertäter, für einen großen Menschen, der ungewöhnliche Macht besitzt, für einen der großen Wohltäter der Menschheit, der kein anderes Sinnen und Trachten kennt als nur dies, anderen zu helfen, Schmerzen von ihnen wegzunehmen, die Macht des Bösen zu brechen.

Aber Ihr, für wen haltet Ihr mich? Jetzt sind die Apostel ganz persönlich angesprochen. Petrus, ihr Wortführer, gibt für alle die Antwort: Du bist der Messias! Petrus sagte damit etwas sehr wichtiges, er traf den Nagel auf den Kopf, aber eben doch nur den Kopf und nicht den ganzen Nagel. Denn unter dem Messias stellte sich Petrus etwas Großartiges vor, eine imposante und imponierende Herrscherpersönlichkeit, einen Sieger, dem niemand etwas anhaben kann; das war sein Meister zwar noch nicht; aber was er noch nicht war, das würde er sicher noch werden, und er, Petrus, würde ihm dabei schon tüchtig helfen. Viel später erfahren wir ja, dass dieser Petrus ein Schwert besaß; und eines Tages wird er es in kritischer Situation sogar bei sich haben und damit dreinschlagen, wenn er dabei auch nur das Ohrläppchen eines anderen erwischt. Jedenfalls war das die Messiaserwartung und Vorstellung des Petrus: Jetzt einmal den rechten Augenblick mit diesem Jesus abwarten und dann mit ihm zur rechten Zeit losschlagen gegen die römische Besatzungsmacht! Man muss beim kurzen Messiasbekenntnis des Petrus also folgendes zwischen den Zeilen lesen: Du bist der Messias, du bist der ersehnte und erwartete Anführer, der uns zur Freiheit führt. Du hast das Zeug dazu. Ich aber habe für Dich mein Schwert schon geschliffen und habe es immer griffbereit. Du brauchst nur noch die Losung auszugeben und du wirst sehen, wie wir uns mit dir und für dich schlagen werden.

2. Nun aber beginnt Jesus selbst, ihnen, dem Petrus und seinen Mitaposteln, zu sagen, was er sich unter dem Messias vorstellt: Der Messias ist der vom Propheten Isaias vorausgesagte leidende, sühnende Gottesknecht, der für die Sünden der Menschen Leiden und Tod auf sich nimmt, um für die Sünden zu sühnen. Und Christus zählt nun in seiner ersten Leidensweissagung die einzelnen Stationen seiner Passion auf: Seine Auslieferung an die Ältesten und Hohenpriester, seine Verurteilung, seine Geißelung, seine Kreuzigung, sein Tod in der Verlassenheit am Kreuz... Er muss getötet werden! „Getötet werden?" Was? Habe ich recht gehört? So mag Petrus hier gedacht haben. Das Wort von der Auferstehung des Gekreuzigten hört er schon nicht mehr. Getötet werden — das kommt doch überhaupt nicht in Frage, den Messias kreuzigen und töten, das hieße doch, alle Hoffnungen zuschanden machen, das geht doch nicht. Petrus wartete einen günstigen Augenblick ab, bis er es Jesus unter vier Augen sagen konnte: Meister, das kommt doch überhaupt nicht in Frage! Mit solch pessimistischen Tönen kommst du doch bei den Leuten nicht an! Das ist doch die schlechteste Propaganda für dich und deine Pläne! Da kam aber Petrus schlecht an bei Jesus. So ist er wohl in seinem Leben bisher und auch später nicht mehr zurechtgewiesen worden: "Weg von mir! Satan! Denn du denkst nicht was Gott will sondern was die Menschen wollen!" Du denkst allzumenschlich! Mein Leiden und Sterben gehört zum Erlösungsplan des Vaters. Ich aber bin dazu bereit! Und jeder, der es mit mir halten will, muss auch zum Kreuz, zum Opfer und zum Leiden bereit sein!

Das aber soll nicht nur Petrus wissen, das ist keine Sache, die unter vier Augen bleiben kann. Jesus stellt sich nun mitten unter das Volk und unter seine Jünger und er macht nun aus dem stillen Privatgespräch mit Petrus eine große, ewig gültige Predigt an das Volk, weil das alle angeht und niemand davon ausgenommen werden kann:

3. Da rief Jesus seine Jünger und das Volk zu sich und sagte: "Wenn einer mir nachfolgen will, verleugne er sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich, und dann folge er mir nach!" Ein klares Herrenwort, das heute gerne verschwiegen und unterschlagen wird, weil es nicht in ein modernes, modernistisches, aufgeweichtes, umfunktioniertes, dem Wohlstandsdenken unserer Zeit angepasstes Christentum hineinpasst. Aber es steht da und es ist auch mit aller noch so modernen Schrifterklärung und Exegese nicht daran zu rütteln: Zur Christusnachfolge gehört das Kreuz! Zum echten Christentum gehören Opfer und Kreuz! Ach, wie viele möchten heute wie Petrus den Heiland beiseite nehmen und ihm gescheit den Rat geben: „Herr, dieses Gerede vom Kreuz ist doch gänzlich unmodern, damit kannst du doch den modernen Menschen nicht imponieren!

Christus aber würde ihnen die gleiche Antwort geben wie dem Petrus: Weg von mir! Das verstehst du nicht! Du denkst eben nur menschlich! Gott denkt ganz anders. Er wollte, dass bei Mir und bei euch das Kreuz Werkzeug der Erlösung sei. Und wenn einer mir nachfolgen will, wenn einer mein Jünger sein will, wenn einer ein echter Christ sein will, der verleugne sich selbst und nehme täglich sein Kreuz auf sich und so folge er mir nach!

Christus fordert hier von uns ein Zweifaches:

1. das rechte gläubige Verständnis für das Kreuz Christi

2. und die Bereitschaft für das eigene Kreuz.

Und das muss täglich Wirklichkeit werden, also im Alltag mit seinem gewöhnlichen, oft allzu gewöhnlichen Leben. Verständnis für die Sühne– und Segenskraft des Kreuzes Christi haben und täglich sein Kreuz auf sich nehmen, d.h. immer wieder von neuem die kleinen und größeren Schwierigkeiten und Opfer des Alltags akzeptieren als das Kreuz, das der Herr für einen jeden bereitstellt. Da geht es dann meist nicht um das heldenhafte Ja zu großen Taten, sondern um das stille Bereitsein zu den Forderungen und Mühseligkeiten des Alltags mit dem, was im Rahmen von 24 Stunden die tägliche, ja stündliche Pflicht verlangt mit all den kleinen und größeren Unannehmlichkeiten, die doch immer wieder Hintansetzung der Wünsche des eigenen Ich und damit Selbstverleugnung fordern.

Dazu kann vielleicht dann und wann – vielleicht ganz unerwartet und entgegen allen Wünschen und Berechnungen – das Kreuz einer schweren Heimsuchung, das Kreuz einer Krankheit, eines Schicksalsschlages, einer harten Glaubensprobe u.ä. kommen. Das dann bejahen und tragen in der Gesinnung Christi, in der rechten Gottergebenheit, in der rechten Opfer– und Sühnebereitschaft. Das ist nicht leicht. Aber ein echter Christ müsste sich zeitlebens eingeübt haben in das Ertragen auch solch schwerer Kreuze. Immer legt ja Gott nur ein solches Kreuz auf, das jeder mit Gottes Gnadenhilfe auch tragen und ertragen kann. Gegen das Kreuz protestieren hat wenig Sinn. Das Kreuz abschütteln wollen gelingt nicht. Das Positive an ihm zu erkennen suchen und Ja zu ihm sagen, das ist das einzig Richtige, das einzig Christliche. Und nie sollte man die anderen beneiden, weil sie es scheinbar leichter haben und es in ihrem Leben ohne Kreuz, jedenfalls ohne schweres Kreuz abgeht. Jeder hat sein Kreuz zu tragen. Es kommt nur ganz und gar darauf an, wie es getragen wird und was man aus diesem seinem Kreuze macht!

Darf ich da zuletzt — ich tat es, wie ich glaube, schon einmal — an das bekannte Gedicht von Adalbert v. Chamisso "Die Kreuzschau" erinnern: Auf steinigem Pfad, den drückende Sonnenhitze noch beschwerlicher machte, schritt ein Pilger, das Kreuz seines Lebens tragend, dahin. Als es Abend wurde, hielt er keuchend inne und seufzte: "Schwer ist das Kreuz, das mir der Herrgott auferlegt hat. Ich weiß ja, wir brauchen ein Kreuz und tragen alle eins, aber das meine drückt besonders schwer und erdrückt mich schier. Mein Gott, könntest du mir nicht ein anderes geben?" Tiefer Schlaf senkte sich über den Pilger und plötzlich sah er sich von einem Licht umstrahlt: Der Herr erschien ihm und sprach ihn giftig an: "Du wünscht ein anderes Kreuz als das deine?" Ja, Herr, ich bin schwach und alt und am Ende meiner Kraft. Seit 60 Jahren trag' ich dieses Kreuz, das ich ja liebe, weil es von dir kommt, aber..." "Gut, komm mit, mein Sohn!" Und er sah sich nun in einen weiten, hohen Raum versetzt und der Herr sprach: "Hier ist alles Kreuz beisammen, das durch mein Erbarmen den Menschen die Himmelstür aufschließt, laß jetzt dein Kreuz dort an der Türschwelle und wähl dir eines, das dir mehr zusagt!" Der Pilger trat ein in die weite Halle. Stellte sein Kreuz ab und sah sich um: Er war überwältigt von der Menge der Kreuze, die seit Beginn der Menschheitsgeschichte getragen worden waren und noch getragen werden mussten bis zum Ende der Zeiten. Lange prüfte er die verschiedenen Kreuze mit seinem Blick, dann begann er das eine und andere in die Hände zu nehmen: Er wog sie, er wendete sie, er probierte sie, er ließ sie wieder stehen. Hier war das Kreuz der Gewissensbisse, dort das Kreuz des Neides, der Undankbarkeit, das Kreuz des Ehe— und Familienzwistes, das Kreuz der Krankheit, der Verleumdung, das Kreuz des Schmerzes um einen geliebten Menschen usw. Und bei jedem sagte er sich: "Nein, das lieber nicht!" Schließlich seufzte er ganz verzweifelt: "Mein Gott, muss ich denn unbedingt eines wählen?" "Ohne Erdenkreuz keine Himmelskrone!" So lautete die Antwort des Herrn. Der Pilger suchte noch einmal. Doch als er entmutigt den Kopf senkte, sprach der Herrn zu ihm: "Schau her! Was wär´s denn mit diesem?" Der Pilger bemerkte nun ganz nahe bei der Tür ein Kreuz, er zog es herbei, er hob es auf. Ein Seufzer entrang sich seinen Lippen: „Mir scheint, das könnte ich tragen. Es ist wohl etwas schwer, aber doch leichter als die andern und scheint ganz zu meiner Statur zu passen. Darf ich es nehmen, Herr?“ „Nimm es!" Er nahm es. Und da erkannte er es: Es war das Kreuz, sein Kreuz, das Gott ihm in seiner Barmherzigkeit zugedacht hatte, das Kreuz, das er, weil es ihm zu schwer geschienen hatte, gegen ein anderes hatte umtauschen wollen.

Es steckt in diesem Gedicht von Chamisso mehr Theologie und mehr Lebensweisheit, als man gerne zugeben möchte. Das ist für einen Christen die einzig rechte Art und Möglichkeit, mit seinem Kreuz fertig zu werden: Ja dazu sagen, nicht in Protest erstarren, es in Freiheit ergreifen und im gleichen Geist wie Christus, im Geist der Sühne, im Geist der Ergänzung dessen, was am Leiden Christi noch abgeht zur Erlösung der Welt, und in der Bereitschaft, mit Christus Mitgenosse seiner Leiden zu sein, wissend um die Heilskraft und Sühnekraft des Kreuzes!