23. Sonntag im Jahreskreis – Lj B

gehalten in Parsch am 6.9.1970

 

Da las ich im Osservatore Romano, dass der hl. Vater am 11. August 1970 einen Pilgerzug aus Frankreich in Audienz empfangen hat und dass alle Pilger bis auf die sie führenden und begleitenden Priester taubstumm waren. Der Papst hielt ihnen eine ergreifend warme Ansprache, die sie freilich nicht hören konnten, aber der sie begleitende Taubstummenseelsorger übersetzte ihnen die Papstansprache in die Zeichensprache für Taubstumme.

Heute hören wir im SoEv auch von einer Pilgerfahrt. Sie ging aber nicht zum Stellvertreter Christi, zum Papst, sondern zu Christus selber. Inmitten dieses kleinen Pilgerzuges zu Christus befand sich ein Taubstummer, ein armer, gehemmter Mensch, der vielleicht von vielen Mitmenschen für einen armen Trottel gehalten wurde, mit dem man kein vernünftiges Wort reden konnte, mit dem man nur seinen Spaß treiben konnte, den man herumstoßen und herumpuffen konnte. Aber auch er war ein Mensch mit voller, ihm zustehender Menschenwürde. Denn was konnte er dafür, dass seine Ohren verschlossen waren und seine Zunge so schwer und unbeholfen in seinem Munde lag? Wie viel hatte er bisher entbehren müssen, noch nie war ein trautes, liebes Wort an sein Ohr gedrungen, noch nie erhebende Musik, noch nie das Gezwitscher der Vögel, das Rauschen des Baches, des nahen Sees.

Und nun nehmen sich heute gute Menschen um ihn an und bringen ihn zu Jesus. Vielleicht kann dieser ihm helfen Er hat ja schon so vielen geholfen. Er bräuchte ihm doch nur die Hände auflegen oder ein Machtwort sprechen und der Taube müsste geheilt werden von seiner Taubheit, der Stumme müsste geheilt werden von seiner Stummheit.

Und tatsächlich, Christus wirkt an diesem armen Menschen das Wunder und heilt ihn, nachdem er ihm in eigenartig komplizierter, aber für diesen armen Menschen verständlicher Zeichensprache klar gemacht hat, wie er nur an Ihn, den Heiland, glauben, Ihm vertrauen muss. Mit so viel Liebe, mit so feinem psychologischen Einfühlungsvermögen, ja mit wahrhaft göttlicher Heilspädagogik nimmt sich Christus dieses armen, gehemmten Menschen an, dass man aus dem Staunen nicht herauskommt und in den gleichen bewundernden Ruf ausbrechen muss: Er hat alles gut gemacht, dem Tauben gab er das Gehör, dem Stummen die Sprache. Christus hören können, seinen Worten lauschen dürfen, was mag das für den Geheilten eine unsagbar große Freude bedeutet haben!

Haben wir alle nicht auch heute noch dieses Glück und diese Freude, den Herrn und sein Wort hören zu können? Nur horchen wir zu wenig darauf! So viele sind taub geworden oder lassen das Wort des Herrn übertönt werden vom Lärm der Strasse, vom Lärm der Welt, von der Hast und Unruhe unserer materialistischen Zeit. Vielfach fehlt leider bei den Menschen – auch bei vielen aus uns Katholiken – die innere Bereitschaft zum Horchen und Lauschen auf die Stimme Gottes, auf das Wort Gottes.

Diese Bereitschaft geht so vielen ab, wie sie beispielsweise der junge Samuel hatte, als er im Heiligtum des Bundeszeltes mitten in der Nacht, mitten im Schlaf von Gott angesprochen wurde und hellwach sofort seine Bereitschaft erklärte : "Rede, Herr, dein Diener hört!“ Mehr horchen, mehr lauschen auf die Stimme Gottes, mehr stille werden! Tage der Stille in Exerzitien, Stunden der Stille oder wenigstens Minuten der Stille braucht es, um den Herrn zu hören. Er hat uns immer wieder etwas zu sagen: Tröstendes, Mahnendes, Warnendes, Stärkendes! Es tönt der Ruf des Herrn durch seinen Knecht, den Tod, nicht bloß beim Spiel vom Jedermann auf dem Salzburger Domplatz, wenn das Wort „Jedermann“ von der Festung, vom Turm der Franziskanerkirche, von der Höhe der Domkuppel herunterhallt. Ruf Gottes, wenn der Herr uns heimsucht durch einen Todesfall, durch einen Unglücksfall! Ruf Gottes! Anruf! Gnadenruf ! Horchen! Hören! Es darf von uns nicht stimmen, was Christus von den ungläubigen Juden zu seiner Zeit gesagt hat: "Sie haben Ohren und hören nicht!" Herr, mach uns hörend, wie Du den Taubstummen damals hörend gemacht hast! Laß uns nicht schwerhörig oder gar taub sein für Dein Wort, für Deinen Gnadenruf! Effata! Tu dich auf!

Etwas ist mir beim Lesen des heutigen SoEv noch besonders aufgefallen. Es heißt da vom geheilten Taubstummen: "Und er redete richtig". Das ist doch auch nach der wunderbaren Heilung des Taubstummen gar nicht so selbstverständlich. Auch wenn der Herr diesem von Geburt an Taubstummen die Ohren geöffnet und die Zunge gelöst hat, so wäre ihm – rein natürlich gesehen – das Erlernen der Sprache nicht erspart geblieben, so wie ja auch jedes Kind allmählich die Sprache erlernt. Und wie viel braucht es, bis das erste Wort, etwa Mama, Papa, über seine Lippen kommt. Bei einem Erwachsenen, der von Geburt an taubstumm war und nun von diesem harten Gebrechen geheilt worden ist, müsste das Erlernen der Sprache schneller gehen als beim Kind, aber es bräuchte doch seine geraume Zeit. Und nun heißt es vom geheilten Taubstummen: "Er redete richtig", er beherrschte auf einmal seine Muttersprache. Ist das nicht zusätzlich zur wunderbaren Heilung noch ein weiteres Wunder, das Christus an ihm gewirkt hat?

Mir ist da eingefallen, wie es heute bei zunehmendem Fremdenverkehr und immer engerem Zusammenrücken der verschiedenen Völker eigentlich für Menschen, die vorankommen wollen, unbedingt notwendig ist, neben der Muttersprache wenigstens noch eine 2. Sprache, eine Weltsprache wie Englisch oder Französisch, zu beherrschen.

Es gibt aber noch zwei andere Sprachen, mit denen man gut durch die Welt, gut durch das Leben kommt, auch durch alle Schwierigkeiten und Hindernisse des Lebens. Es sind zwei Sprachen, die jeder leicht erlernen kann und erlernen sollte, nämlich die Sprache der Wahrheit, der Wahrhaftigkeit und die Sprache der Liebe. Verstehen wir einmal das Wort im heutigen SoEv vom geheilten Taubstummen "Und er redete richtig" in diesem Sinn: Er redete fortan richtig, weil er die Sprache der Wahrheit und die Sprache der Liebe sprach, so wie es ihm Christus vorgemacht hatte im Wunder der Heilung:

1. Die Sprache der Wahrheit: Ein bekanntes Sprichwort lautet: "Lügen haben kurze Beine!" Es stimmt. Man kommt mit dem Lügen nie weit. Mit der Wahrheit kommt man viel weiter. Es kann wohl sein, dass die Lüge augenblicklich einen Vorteil verschafft, dafür sind nachher die Nachteile umso größer. Und noch so viele Dementis helfen dann meist nicht mehr viel. Es kann sein, dass die Wahrheit augenblicklich einen Nachteil bringt, dafür aber sind die Vorteile später umso größer. Es ist ja doch schließlich wirklich so, auch in der Ehe, in der Freundschaft, in der Politik, dass man einem Menschen, der einen belogen hat, schließlich überhaupt nicht mehr traut und glaubt. "Wer einmal lügt…" Wenn aber das Vertrauen dahin ist, wenn das Misstrauen sich eingeschlichen hat, wie kann man dann noch zusammenleben in der Ehe, in der Familie, im Betrieb, in der Nachbarschaft? Man braucht je gerade zum Gemeinschaftsleben vertrauen, das aber nur aufgebaut werden kann auf der Wahrheit, auf der Wahrhaftigkeit! Anderseits, wie schön ist es, mit Menschen zusammenzuleben, zusammenzuarbeiten, von denen man sicher weiß, dass sie nicht falsch und lügenhaft, sondern wahrhaftig und ehrlich sind. Ein Mensch, der wahrhaftig und ehrlich, aufrichtig ist, kommt zuletzt doch überall gut an. Wirklich, die Sprache der Wahrheit, der Wahrhaftigkeit darf uns Christen, uns Katholiken nicht verlorengehen in dieser Zeit der Verwirrung auf so vielen Gebieten, auch auf dem des Glaubens!

2. Aber auch die Sprache der Liebe braucht es, soll es von uns wie vom geheilten Taubstummen stimmen, dass wir richtig reden. Die Liebe ist doch immer noch jene Sprache, mit der man überall und immer verstanden wird. Liebe, Güte, feine, liebebeseelte Höflichkeit und Freundlichkeit! Einem solchen Menschen öffnen sich ganz von selber die Herzen, die Hände, die Türen, indes ein Egoist, ein Neidhammel, ein liebloser Streithansel alles verdirbt und sich selber alle Türen verschließt. Es heißt dann: Mit diesem Menschen kann man ja nicht auskommen. Ja, die Liebe ist wie ein Schlüssel, der verschlossene Türen öffnet! Und recht redet man als Christ nur, wenn man sich vor jedem lieblosen, gehässigen Wort hütet. Die Sprache der Liebe verstehen sogar Taubstumme. Das Beispiel Christi im heutigen SoEv, zeigt es! Ja, Brüder und Schwestern in Christus, wer diese zwei Sprachen kann und spricht, die Sprache der Wahrheit und der Liebe, wird durch alle Lebenslagen gut hindurchkommen, wer sie aber nicht kennt, wird sich schwer tun im Leben. Richten wir heute die vertrauensvolle Bitte an Ihn: Herr, lehre uns immer mehr diese doppelte Sprache der Wahrheit und der Liebe, auf dass wir richtig reden und mache uns wieder hellhörig für dein Wort und deinen Gnadenruf, wir wollen bei dir, der Du die Wahrheit und die Liebe selber bist, in die Schule gehen, auf dass es einmal in der Stunde des Gerichtes auch von uns heiße: Er, sie hat alles gut gemacht! Amen.