4. Sonntag der Osterzeit

gehalten in St. M. Loreto am 6. Mai 1979

 

Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene, ist nicht nur das wahre Osterlamm, das für uns geschlachtet und hingeopfert worden ist, Er ist auch der Gute Hirte, der sich in treuer, selbstloser, allumfassender Liebe für seine Lämmer und Schafe sorgt und der deshalb zu jeder Zeit und in allen Völkern Menschen dazu beruft, mit Ihm zusammen Hirten zu sein und Seine Herde auf gute Weide zu führen, denn was Er vor allem zu Petrus und dessen Nachfolgern gesagt hat: „Weide Meine Lämmer! Weide Meine Schafe!“, das sagt Er zu all jenen, denen Er die Gnade des Priesterberufes in das Herz senken möchte: „Weide Meine Lämmer! Weide Meine Schafe!“

Weltgebetstag für geistliche Berufe ist heute und wir sollen alle heute beten und opfern, damit dem Guten Hirten Jesus Christus viele im Priester— und Ordensberuf nachfolgen und zur Seite stehen im Weiden seiner Herde! Und wir sollen heute ganz besonders beten und opfern, dass jene, die der Herr zum Weihe— und Amtspriestertum berufen hat, wirklich auch erfüllt seien von der treuen, selbstlosen und allumfassenden Liebe des Guten Hirten!

Ja, so war die Liebe des Guten Hirten, wie sie uns heute von Christus selbst im Guten—Hirten—Gleichnis geschildert wird: treu, selbstlos und allumfassend:

 

1)Treu war die Liebe des Guten Hirten: Wir erkennen diese treue Liebe des Guten Hirten zu allererst am Gegenteil: an der Treulosigkeit des Mietlinqs, der flieht, wenn er den Wolf kommen sieht: er flieht, weil er Mietling ist und ihm an den Schafen nichts liegt; der Gute Hirte aber floh nicht, er hielt seinen Schafen die Treue bis in den Tod; mit einer einzigen Ausnahme waren alle Apostel geflohen und dem Guten Hirten Jesus Christus untreu geworden, als der Wolf, der böse Feind, in die Herde Christi einbrach... Aber der Gute Hirte blieb auf seinem Posten. Er wich nicht, Er wankte nicht. Er hielt durch, auch wenn es Ihm das Leben kostete.

 

Ja, diese Treue sollten wir heute den Priestern, den zum Priestertum Berufenen in der Sorge um die Herde Christi erbitten! So viele sind in den letzten Jahrzehnten ihrer Berufung untreu geworden. Es war höchste Zeit, dass die Päpste zur Treue gegenüber den übernommenen Verpflichtungen, auch gegenüber der Verpflichtung zum Zölibat, zur gottgeweihten Ehelosigkeit mahnten. Treu muss die Liebe derer sein, die dem Guten Hirten nachfolgen!

 

2)Nicht bloß treu war die Liebe des Guten Hirten, sondern vor allem auch selbstlos: „Ich gebe Mein Leben für Meine Schafe!“ So sprach der Gute Hirte. Und es waren wahrlich keine leeren Worte. Er setzte diese in die Tat um: Zuerst gab Er seine Ehre hin und ließ sich verleumden und zum Aufwiegler und Unruhestifter und Verbrecher abstempeln und verurteilen; dann gab Er seine Freiheit hin und ließ sich freiwillig gefangennehmen, zum Tod verurteilen und kreuzigen; dann gab Er seine Mutter hin, die Er so innig liebte und vermachte sie dem Apostel Johannes und in ihm allen, die ihm, dem Lieblingsjünger Jesu, gleichwerden wollen; schließlich gab Er sein Blut bis zum letzten Tropfen hin, das seinem durchbohrten Herzen entströmte, um für seine Schafe ein Heilmittel der Reinigung und der Erlösung zu sein; zuletzt gab Er wirklich sein Leben hin als Sühnepreis für die Sünden der Menschen und als Opfer zur Erlösung der Menschen; alles opferte der Gute Hirte hin, Er machte es wahrlich nicht so wie die alttestamentlichen Priester und Hirten, von denen der Prophet Ezechiel berichtet hat, dass sie nicht ihre Herden, sondern sich selber geweidet haben und ihren Schafen das Blut ausgesaugt haben. Leider gibt es auch unter den neutestamentlichen Priestern und Hirten bisweilen solche, die voll Selbstsucht und Bequemlichkeit nicht das Wohl der ihnen anvertrauten Herde, sondern nur das eigene Wohl suchen und nicht selbstlos, sondern selbstsüchtig sind! Wahrlich, der heutige Weltgebetstag für die geistlichen Berufe sollte die Gläubigen auch wieder daran erinnern, dass sie für die Priester beten sollen, auf dass diese wirklich dem Ideal des Guten Hirten in seiner selbstlosen Liebe mehr und mehr entsprechen, statt in Anpassung an die Welt und an den Zeitgeist immer selbstsüchtiger zu werden!

 

3) Die Liebe des Guten Hirten war nicht bloß eine ganz treue und ganz selbstlose Liebe, sondern auch eine allumfassende Liebe, die niemanden ausschloss, auch nicht die Kinder und auch nicht die Sünder! Diesen galt erst recht seine Liebe: „Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus dieser Hürde sind; auch sie muss ich herbeiführen, damit sie meine Stimme hören und dann eine Herde unter einem Hirten werde!“ Alle hat der Gute Hirte Jesus Christus erlöst, für alle ist Er gestorben; Er ließ auch das eine, verlorengegangene Schaf nicht im Dorngestrüpp in der Wüste draußen verkommen. Er ging ihm vielmehr nach und suchte und suchte es, bis Er es gefunden hatte! Ist auch die Liebe derer zur Herde Christi allumfassend, die der Gute Hirte Jesus Christus zu seiner engsten Nachfolge berufen hat? Eine ernste Gewissensfrage ist das für uns Priester, die wir so leicht in Gefahr sind, unsere Liebe und unseren Einsatz nur auf jene zu beschränken, die uns umgeben oder gar umschwärmen. Dabei verlieren wir so leicht den Blick auf die Abseitsstehenden.

 

Missionarisch weltweit und allumfassend müsste in der Nachfolge des Guten Hirten nicht bloß die Liebe der Priester und Ordensleute, sondern auch die Liebe jener Katholiken sein, die es noch ernst nehmen mit der Treue zu Christus! Wie engstirnig aber denken da manche Katholiken! Ein Beispiel dafür zum heutigen Weltgebetstag um Priester— und Ordensberufe:

Vor Jahren wars, am Weltmissionssonntag: Ein Japanmissionar, der nach langen Jahren zum ersten Mal Heimaturlaub hatte, hatte über die religiöse Situation im Fernen Osten gepredigt. Es war eine sehr anschauliche und aufrüttelnde Predigt. Nachher war er bei einer guten katholischen Familie zu Tisch geladen worden. Bei Tisch gab es ein anregendes Gespräch, das sich zuletzt nicht mehr um Alltägliches drehte, sondern zuletzt sehr konkret auch um den Priester- und Ordensberuf heute. Da stellte der Missionär schließlich an die Familienmutter die Frage: „Möchten Sie nicht einen Ihrer Söhne für den Priester— und Missionärsberuf hergeben?“ Zuerst trat auf diese Frage hin beklemmende Stille ein. Dann aber sagte die Familienmutter: „Nein, ich möchte nicht, dass meine Buben sich solche Gedanken in den Kopf setzen.“ Und dazu dann der Vater, um abzulenken: „Nehme Sie doch, Hochwürden, noch ein Stück vom guten Braten! Oder schmeckt er Ihnen etwa nicht?“

 

Das war der erste Teil der Geschichte: In manchen noch guten, tiefgläubigen Familien, in denen der Priester noch gerne zu Gast geladen wird, sagt man gerne: „Nehme Sie doch, Hochwürden!“, solange es sich dabei nur um Speise und Trank oder allenfalls um einen Geldschein für einen Missionar oder für den Priesternachwuchs in der Heimat dreht. Wenn katholische Eltern aber einen Sohn, eine Tochter hergeben sollen für den Priester— oder Ordensnachwuchs in der Heimat oder in den Missionen, weil die vorhandenen Hirten gebrechlich, alt und dienstuntauglich werden und ihre Zahl immer kleiner und kleiner wird, dann wird der Geberwille solcher katholischer Eltern oft so klein, dass selbst eine gute katholische Mutter dann meint, ihre Buben sollten sich keine solchen Gedanken in den Kopf setzen.

Und nun der zweite Teil der Geschichte: Als jener Japanmissionär auf Heimaturlaub der unwillig gewordenen gläubig frommen katholischen Mutter angedeutet hatte, dass Gott ruft und dass man dann diesem Ruf Gottes kein Hindernis in den Weg legen sollte, da hatte Gott in dieser Familie tatsächlich schon gerufen: Einer der am Tisch sitzenden Söhne dieser Familie hatte den Ruf Gottes während der Predigt des Missionärs und erst recht beim Tischgespräch vernommen. Er war darüber erschrocken. Er fürchtete sich davor. Eine zeitlang später offenbarte er sich der Mutter. Diese aber fuhr ihn - trotz ihrer Gläubigkeit und Frömmigkeit - hart an: „Was fällt dir nur ein! Der Vater will nichts davon wissen. Er rechnet damit, dass du einmal im Geschäft sein Nachfolger wirst!“

Das gab nun den Ausschlag. Dieser Sohn hörte den Ruf Gottes und den ablehnenden Widerruf der Mutter und des Vaters. Er wusste, dass man Gott mehr gehorchen muss als den Menschen. Da betete er: “Hier bin ich, Herr! Ich bin bereit! Sende mich!“ Und Gott sandte ihn. Er wurde ein guter, ein treuer, selbstlos seine Herde liebender Priester und Missionär.

 

Jahre und Jahrzehnte hindurch hat eine Pfarrgemeinde ihren treuen, opferbereiten Seelsorger. Fast 40 Jahre schon wirkte dieser Seelenhirte in dieser Pfarrgemeinde. Aber noch nie schenkte diese Gemeinde der Kirche einen Priester. Da passierte es, dass Gott rief: „Nun brauche ich einen von euch?!“ - Was denn? Darf man dann sagen: „Nimm hin, o Herr, unsere Kirchensteuer! Nimm hin, o Herr, unsere sonntägliche Kollekte! Nimm hin, o Herr, unser Missionsopfer, aber lass uns doch bitte schön unsere Söhne und Töchter, denn der Priester— und Ordensberuf ist heute nicht „up to date“ und wir wissen ja auch nicht, ob in der heutigen Situation unsere Söhne und Töchter im Priester— und Ordensstand auch durchhalten würden bei dem sinnlosen Opfer des Zölibats und anderer Opfer, die ihnen dann abverlangt würden!“ Ja, in unserer Wohlstandsgesellschaft und im praktischen Materialismus, der sich auch in unsere besten katholischen Familien eingeschlichen hat, klingt heute gar manchesmal die sonderbare Bitte auf: „Vor Priester— und Ordensberufen aus unserer Familie verschone uns, o Herr!“

Der heutige Weltgebetstag um geistliche Berufe sollte uns alle wieder an das erinnern, was das II. Vaticanum im Dekret über die Ausbildung der Priester im 2. Artikel geschrieben hat:

„Berufe zu fördern ist Aufgabe der gesamten christlichen Gemeinde. Sie erfüllt sie vor allem durch ein wirklich christliches Leben. Den wichtigsten Beitrag dazu leisten einmal die Familien: durchdrungen vom Geist des Glaubens, der Liebe und Frömmigkeit werden sie gleichsam zum ersten Priesterseminar; zum anderen erfüllen diese Aufgabe die Pfarrgemeinden, wenn an deren blühendem religiösem Leben die Jugendlichen aktiv teilnehmen. Die Lehrer, und alle, die mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen in irgendeiner Weise betraut sind, besonders auch die kath. Verbände, sollen die ihnen anvertrauten jungen Menschen so zu erziehen suchen, dass sie den göttlichen Ruf wahrnehmen und ihm bereitwillig folgen können. Alle Priester sollen ihren apostolischen Eifer vor allem in der Förderung der geistlichen Berufe zeigen. Sie sollen das Herz der jungen Menschen durch ihr eigenes, bescheidenes, arbeitsames und von innerer Freude erfülltes Leben für den Priester— oder Ordensberuf gewinnen sowie durch die gegenseitige priesterliche Liebe und die brüderliche Gemeinschaft in der Seelsorgsarbeit. Aufgabe der Bischöfe aber ist es, ihre Herde in der Förderung von geistlichen Berufen anzueifern...“