Ostersonntag 1979

Die Wundmale des Auferstandenen

 

Christus ist auferstanden, Er ist wahrhaft auferstanden, Er ist leibhaftig auferstanden in seinem verklärten Leib. Der Leib des Auferstandenen ist derselbe, der ans Kreuz genagelt war: an den Händen, an den Füßen und an der zuletzt noch von der Lanze des Hauptmanns durchbohrten Seite sind die hl. Wundmale als Zeichen seiner Erlöserliebe sichtbar.

Darf ich es wagen, in die österliche Auferstehungsfreude hinein einmal über die fünf Wunden, die der Gekreuzigte auch an seinem Leib nach der Auferstehung beibehalten hat, zu predigen? Im Osterlied singen wir: „Seht, wie die Wunden prangen, die Er für uns empfangen....“ Und in die Osterkerze, die den Auferstandenen versinnbildet, wurden in der Osternachtsliturgie fünf Weihrauchkörner eingefügt mit den Worten: „Durch seine heiligen Wunden, die leuchten in Herrlichkeit, behüte und bewahre uns Christus, der Herr!“

Der auferstandene Heiland hat an seinem verklärten Leib die Wunden der Hände, der Füße, der Seite beibehalten. „Seht meine Hände, seht meine Füße ...“

Mein großer Lehrmeister, der hl. Thomas v. A., stellt in seinem großen theologischen Werk, der Summa Theologica, eine tiefsinnige Überlegung über die heiligen Wunden des Herrn nach seiner Auferstehung an. Im 3. Teil seiner Summa Theologica fragt der hl. Thomas v. A. (in der 54. Frage (Quaestio) im Artikel 4) ausdrücklich: „... ob der Leib Christi mit den Wundmalen auferstehen musste.“

Der hl. Thomas macht sich dabei zuerst verschiedene Einwände dagegen und meint: „Wunden und Wundmale bedeuten doch irgendwie eine Verletztheit und eine Entstellung am Leib. So kann es doch gar nicht passend gewesen sein, dass Christus, der Urheber des Lebens und unserer kommenden Auferstehung, mit Wundmalen an seinem verherrlichten Leib auferstand.“ Dann aber verweist der hl. Thomas auf die Worte, die der Auferstandene zum ungläubigen Apostel Thomas gesprochen hat: „Tu deinen Finger her und leg ihn in die Wundmale meiner Hände, tu deine Hand her und leg sie in meine Seitenwunde, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig.“ An der Tatsache, dass der Auferstandene an seinem verklärten Leib nicht bloß die Narben von seinen Wunden, sondern die Wunden selbst beibehalten hat, ist also nach diesem klaren Zeugnis der Hl. Schrift nicht zu zweifeln.

Aber warum hat der Auferstandene nicht bloß die Narben, sondern die klaffenden Wunden an seinem Auferstehungsleib beibehalten, so dass in alle Ewigkeit, auch in der Herrlichkeit des Himmels, sein Leib diese Wunden tragen wird?

 

1)    Der hl. Thomas v. A. führt als ersten und vornehmsten Grund für die Wunden am Auferstehungsleib Christi die Herrlichkeit Christi selber an. „Christus behielt die Wundmale an seinem Auferstehungsleib, nicht etwa weil Er diese Wunden nicht hätte heilen können, sondern damit Er sie in Ewigkeit als Ehrenzeichen seines Sieges, als Siegeszeichen trage.” So wie ein verwundeter Soldat, der tapfer gekämpft hat, sich nie seiner Wunden schämen wird, auch wenn sie scheinbar noch so sehr seinen Leib entstellen. Diese Wunden bedeuten ihm viel mehr als alle ehrenden Orden und Auszeichnungen. Da ist aus der römischen Antike ein gutes Beispiel überliefert: Der römische Feldherr Manlius, der viele. Siege errungen und die Reichshauptstadt Rom mit seinem Kapitol vor den feindlichen Galliern gerettet hatte, sollte auf falsche Anklage hin vom römischen Gerichtshof verurteilt werden. Die Anklage schmerzte den hochverdienten Mann ganz tief. Darum öffnete er mitten in der Verhandlung vor seinen Richtern die Brust, zeigte auf die Narben von all den vielen Wunden, die er in den Schlachten für das Vaterland davongetragen hatte und rief mit lauter Stimme in den Gerichtssaal hinein: „Haec loquuntur pro me!“ „Diese Wunden da sprechen für mich und bezeugen, was ich für den Staat und seine Bürger getan habe!“ Diese kurze Rede machte auf die Richter einen überwältigenden Eindruck. Sie wiesen daraufhin die gegen den Feldherrn Manlius erhobene Anklage ab und setzten den Feldherrn in alle seine Rechte und Würden wieder ein. So kann mit noch viel mehr Recht der Sieger über Tod und Teufel, der gekreuzigte und auferstandene Heiland auf seine Wunden hinweisen und sagen: „Sie sprechen für mich! Sie sind Zeichen meines Sieges, den Ich errungen habe!“ Die Wunden leuchten strahlender als der höchste Orden der Ehre „pour le merit“ am Auferstehungsleib des Herrn, sie sind die fünf kostbarsten Rubine, die herrlicher glänzen als alle Edelsteine auf den Kronen vergänglicher Könige, sie sind das kostbarste Geschmeide, das die Schöpfung dem Gottmenschen anbieten konnte. Gott Vater schaut auf diese heiligen fünf Wunden. Und im Blick auf diese fünf Wunden wiederholt Gott Vater zum erhöhten und verherrlichten Herrn: „Du bist Mein vielgeliebter Sohn, an dem ich mein Wohlgefallen habe!“

 

2) Als zweiten Grund dafür, dass der gekreuzigte Heiland in seiner Auferstehung an seinem verklärten Leib seine Wundmale beibehalten hat, führt der hl. Thomas dies an: „Um die Herzen seiner Jünger im Glauben an seine Auferstehung zu stärken“; ja, die Wunden am Leib des Auferstandenen sind gleichsam seine Identitätskarte und der Beweis dafür, dass dieser verklärte Leib wirklich identisch ist mit dem Leib, der am Kreuze hing und aus den Wunden der Hände, der Füße und vor allem der Seite auch noch den letzten Blutstropfen für uns Sünder vergossen hat. Und diese Wundmale trägt auch der verklärte Leib Christi, den wir in der Hl. Eucharistie wahrhaft und wirklich gegenwärtig wissen und den wir in der hl. Kommunion in unser Herz aufnehmen dürfen. Wir sehen zwar diese Wunden nicht, wir glauben aber daran und beten mit dem hl. Thomas v. A. in seinem unsterblich schönen Gebet „Adoro Te devote, latens Deitatis“ („In Demut bet´ ich Dich, verborgne Gottheit an!“):

„Die Wunden seh‘ ich nicht, wie Thomas einst sie sah, doch ruf ich: Herr, mein Gott, du bist wahrhaftig da“ und bist wahrhaftig derselbe, der sich für mich am Kreuz hingeopfert hat, damit auch ich einmal mit allen, die an Dich, Heiland, glauben und Dich von Herzen lieben, zur Auferstehungsherrlichkeit gelangen kann. Diese Wunden am Auferstehungsleib Christi sind auch am eucharistischen Leib Christi vorhanden. Darum kann ich im schönen Ablassgebet, das dem hl. Ignatius von Loyola zugeschrieben wird, beten: „Seele Christi, heilige mich, Leib Christi, erlöse mich, Blut Christi, tränke mich, Wasser der Seite Christi, wasche mich, Leiden Christi, stärke mich, o gütiger Jesus, erhöre mich, verbirg in deinen Wunden mich!“ Ja, diese Wunden Christi, die Er auch noch an seinem verklärten Auferstehungsleib beibehalten wollte, sind mir eine Zufluchtstätte, in der ich mich in allen Versuchungen und Gefahren und Schwierigkeiten hineinflüchten und verbergen kann, dass mir kein Unheil droht.

 

3) Einen dritten Grund, warum der Gekreuzigte auch noch nach seiner glorreichen Auferstehung die Wundmale an seinem verklärten Leib beibehalten wollte, gibt der hl. Thomas an: „Um dem Vater, bei dem Er unser mächtigster Fürsprecher ist, zu zeigen, was Er alles in seinem Leiden und sterben für uns Menschen ertragen hat“. Immer, wenn die Zornesblitze Gottes auf uns Menschen wegen unserer Frevel und Verbrechen niedersausen möchten, werden die Wunden Christi gleichsam zu Blitzableitern für die strafende Gerechtigkeit Gottes. Die Wunden des gekreuzigten und auferstandenen Herrn fangen zu sprechen an und sagen dem zürnenden Vater: Schau nicht auf die Sünden der Menschen, schau, Vater, auf all das, was ich zur Sühne für die Sünden der Menschen gelitten habe! Meine Wunden sind der sprechende Beweis dafür, dass ich mich nicht geschont habe, sondern in Sühnebereitschaft alles, gar alles, für meine Brüder und Schwestern getan habe! Vater, verzeih darum und lass keinen Sünder, der reumütig ist, verlorengehen!

 

4) Und noch einen vierten Grund gibt der hl. Thomas v. A. an, warum der gekreuzigte Herr auch in seiner österlichen Auferstehungsherrlichkeit die ganze Ewigkeit hindurch die Wunden an Händen und Füßen und an der durchbohrten Seite beibehalten wollte: „Um einmal im Gericht den unbußfertigen Sündern zu zeigen, wie gerecht sie verurteilt und verdammt werden“. Die unbußfertigen Sünder, die Gottlosen, die Glaubenslosen werden dann aufschauen zu dem, den sie durchbohrt haben. Sie werden den Anblick des Gekreuzigten und seiner Wunden gar nicht ertragen können, denn diese Wunden werden für sie in alle Ewigkeit ein Vorwurf sein: Er tat alles für mich, aber es war umsonst! Er wollte auch mich retten und ewig selig machen, aber ich wollte mich nicht retten lassen. Im Gericht, im persönlichen Gericht und im Jüngsten Gericht, wenn der Herr vor den Unbußfertigen mit seinen Wundmalen anklagend und richtend stehen wird, werden diese Sünder zwar vor Christus niederfallen und bekennen wollen: „Mein Herr und mein Gott! Hab‘ Erbarmen mit mir!“ Aber es wird zu spät sein, es wird umsonst sein, denn der Richter wird dann sagen: „Wie oft suchte ich euch, wie oft bot ich euch zur Bekehrung meine Gnade an, wie oft wollte ich euch sammeln wie eine Henne ihre Kücklein unter ihren Flügeln sammelt, ihr aber habt nicht gewollt! Weichet von mir!“ Alle fünf Wunden am Auferstehungsleib Christi sind heilig, weil aus ihnen das kostbare Erlöserblut zur Tilgung aller Sündenschuld geflossen ist, am heiligsten aber ist die Seitenwunde, weil aus ihr der letzte Blutstropfen rann und weil durch diese Seitenwunde hindurch das Heilandsherz offensteht als letzte Zufluchtsstätte für uns arme Sünder. Darum heißt es in der früheren Herz-Jesu-Präfation: „Sein geöffnetes Herz, dieses Heiligtum göttlicher Freigebigkeit, ergießt Ströme der Gnade und des Erbarmens auf uns. Dies Herz, in dem die Glut der Liebe zu uns nie erlischt, sollte den Frommen ein Ort der Ruhe werden, den Büßenden aber als rettende Zuflucht offenstehen“.

 

Brüder und Schwestern im Herrn! Ostern! Auferstehung Jesu Christi! Leibhaftige Auferstehung des Herrn in seinem Leib mitsamt seinen Wunden, die er für uns empfangen hat! „Seht, wie die Wunden prangen, die Er für uns empfangen. Ich werde durch sein Auferstehn gleich Ihm aus meinem Grab erstehn“, wenn ich es in meinem kurzen Erdenleben immer wieder verstanden habe, diese Wunden vertrauensvoll und dankbar zu betrachten, die das Siegeszeichen‚ das Identitäszeichen Christi sind für uns Menschen, aber der Blitzableiter gegen die Zornesblitze des durch unsere Sünden beleidigten und erzürnten Gottes sind, aber auch die Schreckenszeichen für die unbußfertigen und verstockten Sünder!

„Darum merk und beherzige, o Mensch, die hochheiligen und gnadenreichen fünf Wunden unseres lieben gekreuzigten Herrn und Heilands, die Er nach seiner Auferstehung zu unserem Trost an seinem Leib beibehalten hat und am Jüngsten Tag der ganzen Welt offen zeigen wird!“ So hat der hl. Bruder Klaus gesprochen.

Ein Hymnus, ein Lied zu Ehren der heiligen fünf Wunden aber aus derselben Zeit beginnt mit den Worten “Salvete, sacra stigmata... Seid gegrüßt, ihr heiligen Wundmale...“ Denn ihr seid nicht Verminderung, sondern Vermehrung der Auferstehungsherrlichkeit des Herrn, der wahrhaftig und leibhaftig auferstanden ist, damit auch wir einmal glorreich und verklärt auferstehen: In manchen Tälern der Alpen (im Kanton Uri z.B.) besteht der ergreifende Brauch, dass vor dem Vernageln des Sargs eines Verstorbenen fünf Kerzen auf dem Sargdeckel aufgestellt und angezündet werden. Dann wird zu den fünf Wunden des gekreuzigten und auferstandenen Herrn je ein Vaterunser gebetet und danach jeweils eine Kerze ausgelöscht. Die fünf Wunden des gekreuzigten und auferstandenen Herrn leuchten nun gleichsam hinein in den Sarg zum Toten und künden ihm: Auch du wirst auf Grund des Blutes, das uns entströmt ist, einmal als erlöster Mensch glorreich auferstehen!“

Ja, das stimmt: „Mein Glaube darf nicht wanken, o tröstlicher Gedanken! Ich werde durch sein Auferstehn gleich ihm aus meinem Grab erstehn! Amen. Alleluja!“