Heiliger Abend des Gründonnerstages

gehalten im Dom zu Salzburg 1986

 

 

Brüder und Schwestern im Herrn

Der hochwürdigste Herr Erzbischof hat mir für den heutigen und morgigen Heiligen Abend stellvertretend für ihn die Verkündigung des Wortes Gottes anvertraut. Möge der Herr, der für uns Sünder in das heilbringende Leiden und Sterben gegangen ist, meine Worte segnen und diesen Samen auf fruchtbares Erdreich fallen lassen.

Als unser Herr und Heiland am Heiligen Abend des Gründonnerstags vor Beginn seines Erlöserleidens die hl. Eucharistie als Denkmal seiner abgrundtiefen Liebe einsetzte, zeigte Er zuerst in ergreifenden Zeichen eindeutig klar, wie wir dieses heiligste Sakrament verstehen sollten: Ein Linnentuch vorgebunden beugte Er sich als Meister vor seinen Jüngern, als Herr vor seinen Knechten ganz tief zur Erde nieder, um ihnen zunächst den Liebesdienst der Fußwaschung zu erweisen.

Der menschgewordene Sohn Gottes übernahm dabei einen Dienst der damals in der Antike den Sklaven vorbehalten war, so erniedrigend war dieser Dienst. Man musste ja dazu nicht bloß niederknien, sondern musste sich dazu auch noch ganz tief bücken. Dazu sprach der Herr: „Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, damit auch ihr tut, wie Ich euch getan habe.“

Die Fußwaschung: Ein Sakrament? Nein, das gerade nicht. Aber ein Dauerauftrag zur dienenden Liebe!

Haben wir das je wirklich, voll und ganz befolgt? Gewiss, die Fußwaschung ist am Gründonnerstag nur noch liturgische. Zeremonie beim Gottesdienst des Papstes, der Bischöfe, der Äbte und mancher Klostervorstände. Aber als wirklich demütiger Liebesdienst, wo bleibt da die Fußwaschung das Jahr über? Gewiss wird sie gelegentlich von Krankenpflegern und Krankenschwestern an gebrechlichen Alten und Kranken geübt. Diese aber werden dafür entlohnt. Bei uns aber? Ist es nicht doch oft so, dass wir viel lieber dem anderen moralisch den Kopf waschen, als dass wir uns demütig dienend zum Nächsten, zum Bruder und zur Schwester in Not herablassen? „Ein Beispiel habe Ich euch gegeben...“ Ach, hätten wir doch allzeit und überall dieses Beispiel Christi wirklich nachgeahmt in unserem Zusammenleben, in unserem Christenleben, es würde anders ausschauen in der Welt!

Aber warum hat der Herr wohl überhaupt die Fußwaschung an den Aposteln vorgenommen? Übersehen wir nicht, was der Fußwaschung vorausgegangen war: Die Apostel hatten zuvor noch um den ersten Platz gestritten. Ist es heute nicht auch noch so wie damals? Leider nicht bloß in den Parteien und bei den Politikern, die sich, wenn es um den ersten Platz geht, mit Verleumdungen befehden, sondern auch in der Kirche, auch sogar bei ihren Würdenträgern. Jeder möchte lieber kommandieren als ministrieren, lieber verdienen als dienen.

Der Herr sprach damals nicht viel. Er wies nicht lange zurecht, Er gab durch die Tat der Fußwaschung die Antwort auf die Streiterein und Eifersüchteleien der Apostel.

Der Streit der Apostel hat sich wohl augenblicklich in erschrockene Überraschung und wortloses, fast entsetztes und abwehrendes Staunen verwandelt, als ihr Meister sich anschickte, den Aposteln, Petrus voran und Judas Iskarioth nicht ausgenommen, die Füße zu waschen. Ergriffene Stille mag da auf einmal im Abendmahlssaal geherrscht haben. Die Apostel aber ließen das Tun des Meisters schließlich erschüttert über sich ergehen. Gleich darauf aber überfiel sie erst recht nicht bloß Staunen, sondern inneres Erschauern, als Jesus das Brot nahm und brach und sagte: „Nehmt, das ist Mein Leib, der für euch hingegeben wird. Und als Er dann den Kelch mit Wein ergriff und sagte: „Nehmet und trinket alle daraus. Das ist Mein Blut, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden.“ Da gab es bei den Aposteln sicher kein skeptisches Zweifeln oder überhebliches Bezweifeln der dem Herrn zu Gebote stehenden Möglichkeit, Brot in seinen Leib, Wein in sein Blut zu verwandeln. Das Zweifeln und Bezweifeln der Realpräsenz Christi unter den Gestalten von Brot und Wein ist in der Kirche erst später, vor allem in unseren Tagen üblich geworden. In den zurückliegenden Jahrhunderten der Kirche war es nicht so oder höchstens nur ganz vereinzelt. Die vorbildlichsten Menschen, die Heiligen, diese authentischen Glaubenszeugen, haben in allen Jahrhunderten der Kirchengeschichte an die Realpräsenz Christi in der hl. Eucharistie ganz fest und unerschütterlich geglaubt, bisweilen sogar dafür Blut und Leben hingegeben. In meinem Buch „Das Allerheiligste und die Heiligen“, das eben in 2. Auflage (im 7. bis 11.Tausend) erschienen ist, konnte ich auf zahlreiche Heilige hinweisen, die den in der hl. Eucharistie wahrhaft gegenwärtigen Herrn Jesus Christus nicht bloß ehrfurchtsvoll und innig geliebt haben, sondern die im Opfermahl der hl. Kommunion gewährte sakramentale Vereinigung mit Christus überaus geschätzt und daraus gelebt haben, bisweilen nicht bloß dem übernatürlichen Gnadenleben nach, sondern sogar dem leiblichen Leben nach.

Vielleicht haben die Apostel damals beim Letzten Abendmahl noch nicht voll und ganz den tiefen Sinn dessen erfasst, was da der Herr zur Fußwaschung hinzugefügt hatte in der Einsetzung der hl. Eucharistie. Aber so viel haben sie ganz sicher erspürt, dass den Herrn nicht bloß ergreifende, tief herablassende Demut, sondern sich total verschenkende Liebe zu dieser weit mehr als bloß symbolträchtigen, höchst realen Handlung getrieben hat, als Er ihnen das in seinen Leib verwandelte Brot zum Essen und den in sein Blut verwandelten Wein zum Trinken reichte.

Brüder und Schwestern im Herrn! Sehen wir nochmals die vom Herrn vorgenommene Fußwaschung und die von Ihm durchgeführte Einsetzung der hl. Eucharistie in ihrem Zusammenhang an:

Zur Fußwaschung steht der Herr nicht in gebieterischer Majestät, erhaben und aufrecht und seiner Würde voll bewusst vor seinen Aposteln, nein, er kniet vor ihnen nieder, beugt sich tief und macht sich klein, wie Er sich schon ergreifend klein gemacht hatte im Geheimnis der Menschwerdung und Geburt, als Er als kleines, hilfloses Kindlein in der Futterkrippe lag. Und nun wollte Er noch kleiner werden und machte sich zur Speise in der Gestalt des Brotes und zum Trank in der Gestalt des Weines. Es genügte Ihm nicht mehr, unser Bruder geworden zu sein im Geheimnis der Menschwerdung, Er wollte unsere Nahrung werden und unsere Opfergabe im großen Sühnopfer der Erlösung. Hier geht es nicht mehr bloß um ein unbegreifliches Geheimnis des Glaubens, sondern vor allem auch um ein zutiefst ergreifendes Geheimnis dienender, sich total verschenkender, hinopfernder Liebe.

Brüder und Schwestern im Herrn, wann werden wir es endlich verstehen und begreifen, dass all unsere Eucharistiefeiern im Auftrag des Herrn: „Tut dies zu Meinem Gedächtnis“ nicht voll zur Auswirkung kommen können, wenn wir sein Beispiel nicht nachahmen und beim Kommunizieren mit Ihm nicht auch mit den Mitmenschen selbstlos dienend kommunizieren, d.h. mit ihnen teilen in hilfsbereiter, teilender Liebe, und sie ertragen in einander ertragender Liebe, und ihnen aufrichtig vergeben in verzeihender Liebe?

Die herzliche Gemeinschaft, die damals im Abendmahlssaal entstanden war bei der Fußwaschung, bei der Einsetzung der hl. Eucharistie, bei der Erstkommunion der Apostel und ihrer Priesterweihe, bei ihrem innigen Einswerden mit Christus und untereinander, diese herzliche Gemeinschaft von damals müsste jeden Sonntag, noch besser jeden Tag neu erstehen bei unseren Messfeiern und hl. Kommunionen.

Der Herr wollte damals, als Er nach der Fußwaschung die hl. Eucharistie einsetzte, bewirken, dass die mit Ihm in seinem Fleisch und Blut hergestellte Vereinigung und Liebesgemeinschaft sich ausdehne auf die Nächsten und die Fernsten, auf alle Menschen der Erde, alle in Liebe umfangend, mit allen kommunizierend. „Wo die Liebe und die Güte, dort nur wohnt der Herr...“

Der Herr wollte, dass unser ganzes Christenleben ein Kommunizieren werde mit Ihm und unseren Brüdern und Schwestern, ein zu selbstlosem Dienen Freiwerden von aller Selbstsucht und Ich-Verkrampftheit. Dann käme unser Leben, Beten, Arbeiten, Opfern und Leiden wie bei Christus der ganzen Welt zugute und alles würde schöner, froher, beglückender in einem wahrhaft christlichen Miteinander und Füreinander in der einen Kirche Christi.

Beten wir darum an diesem Heiligen Abend in dieser Heiligen Stunde:

Herr, wir bitten Dich, lass uns heute, an diesem hl. Abend, an dem Deine Demut und Deine Liebe zu uns bis zum Äußersten gegangen sind, im Sakrament der Liebe Deine Liebe erfahren und hilf uns, diese Deine Liebe dann weiterzuschenken an die anderen durch unser echtes, rechtes Gutsein! Schenke unserem Christsein wieder die rechte Strahlkraft dienender Liebe, damit wir nicht selbstsüchtig und herrschsüchtig, sondern demütig und gütig unseren Weg gehen, den wahrhaft christlichen Weg, den Du uns vorangegangen bist mit dem Auftrag: „Liebet einander, wie Ich euch geliebt habe!“ Herr, nimm uns hinein in das magnetische Kraftfeld Deiner Liebe und Güte, damit wir zu frohem Geben bereit sind, wie Du es warst, als Du Dich uns ganz und gar schenken wolltest und immer wieder schenkst mit Deinem Leib und Blut!

Nie wollen wir es vergessen, Herr, was Du uns durch Wort und Beispiel und in ergreifender Liebestat beim Letzten Abendmahl gesagt und aufgetragen hast! Amen