5. Fastensonntag im Jahreskreis – A

gehalten im Hohen Dom zu Salzburg am 12. März 1978

 

Mehr als über die wunderbare Auferweckung des Lazarus, der schon 4 Tage im Grabe lag, lohnt es sich, über den Dialog nachzudenken, den vorher Jesus Christus mit Marta, der Schwester des Lazarus an dessen Grab geführt hat: Marta sagte zu Jesus: "Herr, wenn du hier gewesen wärest, dann wäre mein Bruder nicht gestorben. — Aber auch jetzt weiß ich: Alles, was du von Gott erbittest, wird Gott dir geben."

Der Schmerz Martas über den Verlust des geliebten Bruders ist noch ganz frisch und groß, sie lässt aber im Schmerz einen starken Glauben und großes Vertrauen zu dem so hoch verehrten Meister erkennen: "Auch jetzt weiß ich, dass Gott dir geben wird, was Du von Gott erbittest!"

Zeigt sich hier schon in Marta der Glaube an das innerste Persongeheimnis Jesu, an seine einzigartige Gottessohnschaft? Oder ist es nicht doch erst nur der Glaube an einen großen Beter, der durch sein Beten mehr als andere Menschen bei Gott erreicht? — Jedenfalls lassen die Worte Martas erkennen, dass sie in Jesus noch nicht mit voller Klarheit den erkannt hat, der aus eigener Kraft sogar Tote zum Leben erwecken kann und das nicht etwa erst durch sein Gebet bei Gott erflehen muss.

Jesus führt nun den begonnenen Dialog weiter, indem er zu Marta sagt: "Dein Bruder wird auferstehen!" Jesus spricht hier also von der Auferstehung des Lazarus, aber zunächst noch in einer so allgemeinen Wendung, dass sie sowohl von der allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tage als auch von der sofortigen Auferweckung des vor 4 Tagen Verstorbenen verstanden werden kann. Marta verstand jedenfalls das Wort Jesu nur von der allgemeinen Auferstehung am Jüngsten Tage und sagte nun zu Jesus: "Ich weiß, dass mein Bruder auferstehen wird bei der Auferstehung am Jüngsten Tage!" — Sie verstand also die Verheißung Jesu: "Dein Bruder wird auferstehen" nur als tröstenden Hinweis auf die kommende allgemeine Auferstehung am jüngsten Tag, ein Trost, den sie sich sicher schon selber als gläubige Israelitin in diesen Tagen der Trauer seit dem Tod ihres Bruders Lazarus immer wieder zugesprochen hatte. — Ihr Glaube an das tiefste Persongeheimnis Jesu, an seine wahre, wirkliche Gottessohnschaft, und die darin gegebene Macht, war bei Marta noch nicht so groß, als dass sie Jesu Wort: "Dein Bruder wird auferstehen" auf die unmittelbar bevorstehende Erfüllung ihres stillen Hoffens gedeutet hätte.

Jesus aber hatte ja schon früher seine sogar den Tod bezwingende Macht kundgetan: bei der Auferweckung des toten Jünglings von Naim und bei der Auferweckung des Töchterleins des Jairus. Und er hatte in der großen Selbstoffenbarung vor den Juden bereits klar und deutlich gesagt: "Wie der Vater die Toten auferweckt und lebendig macht, so macht auch der Sohn lebendig, wen er will... Gleichwie der Vater das Leben in sich selber hat, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben in sich selbst zu haben...Denn es kommt die Stunde, da alle, die in den Gräbern sind, die seine Stimme hören werden, und es werden herauskommen, die das Gute getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber das Böse getan haben, zur Auferstehung des Gerichtes." (Joh 5,21.26.28f).— Der Sohn kann also Tote erwecken, weil er wie der Vater das Leben in sich selber, d.h. ursprünglich und eigenmächtig besitzt und es somit schöpferisch geben und — wenn es durch den Tod vernichtet worden ist — auch wiedergeben kann.

Bei anderer Gelegenheit hatte Jesus vor seinen Zuhörern erklärt: "Das ist der Wille dessen, der Mich gesandt hat, dass ich von allem, was der Vater mir gegeben hat, nichts verlorengehen lasse, sondern es auferwecke am Jüngsten Tage. Ja, das ist der Wille meines Vaters, dass jeder, der den Sohn sieht und an Ihn glaubt, ewiges Leben habe, und dass Ich ihn auferwecke am Jüngsten Tage!" (Joh 6,39f). Wer immer also durch den Glauben mit Jesus verbunden ist, dem kann und wird er ewiges Leben schenken und ihn von den Toten auferwecken.

Hier nun — im Dialog mit Marta — vollendete Jesus seine diesbezügliche Selbstoffenbarung, wie er sie in früheren Reden begonnen hatte, und fügte nun die letzte Erklärung und den eigentlichen Grund noch an, warum die Auferweckung der Toten seine Sendung und sein Werk ist. Es ist eines der gewaltigsten Worte, das Jesus jemals gesprochen hat, ein Wort, das schon ganz getragen ist von dem Ausblick auf das unerhörte Wunder, das er sich nun zu wirken anschickte, und wohl noch mehr schon ganz beseelt vom Ausblick auf das allergrößte Wunder, nämlich auf seine eigene, in 14 Tagen erfolgende und seinen bitteren Tod am Kreuze überwindende, glorreiche Auferstehung.

Jesus sprach nun zu Marta: "ICH BIN DIE AUFERSTEHUNG UND DAS LEBEN!" wahrhaftig, ein unerhört gewaltiges Wort, gleichzusetzen jenen anderen ähnlichen Jesusworten mit dem "Ego eimi — Ich bin": "Ich bin das Licht der Welt“ —"Ich bin der wahre Weinstock" — "Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ Da klingt jenes gewaltige Wort nach, das der sein Wesen offenbarende Gott am Brennenden Dornbusch in der Sinaiwüste zu Mose gesprochen hat: "ICH BIN der "ICH BIN"." Ich bin der Seiende, der immer war und ist und sein wird!

"Ich bin die Auferstehung...". Damit sagte Jesus viel mehr als etwa nur: Ich habe die Macht, Tote zum Leben zu erwecken. "Ich bin die Auferstehung": Damit wollte der Herr Jesus Christus sagen, dass die Erweckung der Toten Ihm, dem menschgewordenen Sohn Gottes/ so sehr zu eigen ist, dass es außer Ihm und unabhängig von Ihm überhaupt keine Auferstehung geben kann, und dass unser aller Auferstehung in Ihm, in Ihm allein gründet, dass Er also nicht erst, wie Marta gemeint hatte, Gott bitten müsste, dieses Wunder zu wirken, sondern dass Er es aus eigener, wahrhaft göttlicher Kraft, wie sie Ihm eigen ist, wirkt.

Ich meine, dass noch mehr in diesem gewaltigen Jesuswort "Ich bin die Auferstehung" steckt. Es besagt, dass jede Auferstehung zum Leben, wie wir sie erwarten, etwas vom Geheimnis der Auferstehung Jesu Christi selbst in sich schließt, dass also seine Auferstehung bereits unsere Auferstehung ankündigt und dass in seiner Auferstehung wir alle gleichsam schon mit auferstanden sind und demnach unsere kommende Auferstehung die Erfüllung und Vollendung der Auferstehung Christi ist!

In seiner Auferstehung hat der Herr Jesus Christus den Tod ein für allemal besiegt und zwar für uns alle, für die ganze mit Ihm verbundene und durch Ihn erlöste Menschheit, als deren Haupt und Erstling Er gestorben und aus dem Grabe glorreich erstanden ist. So wurde seine Auferstehung zur Wurzel unserer Auferstehung. Und wer immer vom Tod zum Leben ersteht, sei es jetzt zunächst geistigerweise in der Gnade durch das Sakrament der Buße, der Osterbeichte, sei es dann einmal auch leiblich in der Auferstehung des Fleisches am Jüngsten Tage, der ersteht in Christus, mit Christus und durch Christus.

Jesus setzt schließlich den Dialog mit Marta durch eine ganz wichtige Frage fort. Er fragt sie: "Glaubst du das?" Nämlich das, was Ich eben über Mich geoffenbart habe.

Glaubst du das? So fragt der Herr heute, 14 Tage vor Ostern, auch uns, einen jeden von uns! Glaubst du das, nämlich dass Jesus Christus die Macht hat, Tote zu erwecken? Glaubst du an die Tatsache, dass Christi Auferstehung nach seinem erlösenden Sühnetod am Kreuze unsere Auferstehung bewirkt? Diesen Glauben fordert Christus nicht bloß von Marta, sondern von uns allen! Mag uns auch dieser Glaube, das Ja zu etwas, das wir mit unserem kleinen Verstand nicht einsehen und begreifen, auch schwer fallen, es geht dabei aber um das, was erst unser wahres Christ-sein ausmacht: Das gläubige, vertrauensvolle Ja zu den Verheißungen Gottes, zu den Verheißungen Jesus Christi, des menschgewordenen Gottessohnes!

So viele Menschen, leider auch Christen, auch Katholiken, meinen heute, dass mit dem Tod alles aus ist und auf den Menschen -genau wie auf das Tier - die Verendung wartet. Hier fehlt es am Glauben in einem ganz wesentlichen Punkt!

Wir sollten uns alle in diesen zwei Wochen vor Ostern zur gläubigen Haltung Martas wieder durchringen. Sie gab auf die Frage Jesu, ob sie das glaube, die herrliche Antwort: "Ja, Herr, ich glaube, dass du bist Christus, der Sohn Gottes, der in diese Welt gekommen ist!" Martas Glaube war nun der großen Stunde von damals gewachsen. Nun konnte der Herr zum großen Wunder der Auferweckung des Lazarus schreiten.

Er ließ den Stein vom Grab des Lazarus wegschaffen. Dann sprach er ein Gebet zum Vater im Himmel. Es war aber kein Bittgebet, sondern ein Dankgebet: "Vater, ich danke dir, dass du mich erhört hast! Ich wusste, dass du mich allezeit erhörst. Aber wegen des Volkes, das ringsum steht, habe ich es gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast!"

Nach diesen Worten rief Jesus mit lauter Stimme: "Lazarus, komm heraus!" Das große Wunder der Totenerweckung geschah. Abschließend heißt es im Ev: "Viele von den Juden, die gesehen hatten, was Jesu getan hatte, fanden den Glauben an Ihn."

Möge sich das in unseren Tagen wiederholen! Möge unser Glaube an Jesus Christus, den gekreuzigten und auferstandenen Totenerwecker so stark sein und solche Strahlkraft besitzen, dass viele, deren Glaube schwach und angefochten oder schon gänzlich erstorben ist, wieder im Glauben zum Leben erweckt werden. Bei uns aber möge es jetzt nicht eine Gewohnheitsangelegenheit, sondern Ausdruck innerster Glaubensüberzeugung sein, wenn wir es sprechen: "Ich glaube an die Auferstehung der Toten und das ewige Leben." Amen.