3.Fastensonntag

gehalten in St. M. Loreto und Dom am 2. März 1975

 

Bei dem vielsagenden heutigen Sonntagsevangelium über das Zwiegespräch unseres Herrn und Heilands mit der Samariterin am Jakobsbrunnen kam mir unwillkürlich jene gehässige Leserstimme in den Sinn, die vor ein paar Wochen in den SN abgedruckt war. Dort hieß es dem Sinn nach: Im „Jahr der Frau solle man sich nicht nach dem Christentum orientieren, denn dieses habe die Frau immer unterdrückt und diskriminiert und auch der Stifter des Christentums, Jesus Christus, habe die Frauen nur ausgenützt, um sich von ihnen bedienen und finanziell aushalten zu lassen.“

Die Wahrheit sieht aber ganz anders aus. Es würde sich lohnen, ihr an Hand der Hl. Schrift genau nachzugehen. Jesus Christus hat jedenfalls allen Menschen, auch den Frauen in völlig gleicher Weise, die volle Menschenwürde und den Adel der Gotteskindschaft zurückgegeben.

Wie edel und vornehm er aber von der Frau, auch sogar von einer gefallenen, sündigen Frau gedacht hat, zeigt u.a. einmalig schön das heutige Sonntagsevangelium. Der Herr findet es nicht unter seiner Würde, mit dieser Frau am Jakobsbrunnen zu sprechen, ja sogar ein langes Gespräch mit ihr zu führen. Die Schriftgelehrten und Pharisäer von damals hätten so etwas nie getan. Sogar die Apostel wunderten sich, als sie vom Lebensmitteleinkauf in der nahen Stadt zu Jesus zurückkamen und ihn, ihren Meister, im Gespräch mit einer samaritischen Frau antrafen: „Was willst du von ihr? Warum redest du mit ihr?“

Der Herr hat diese Frau, die er in ihrem sündigen Zustand ganz und gar durchschaute, nicht bloß gewürdigt, sie anzusprechen, er hat sie sogar um einen Liebesdienst gebeten: „Gib mir bitte zu trinken!“ Nun war die Verwunderung bei der Samariterin selbst: „Wie kannst du als Jude eine Samariterin um Wasser bitten? Die Juden haben doch keine Gemeinschaft mit den Samaritern!“

Nun geht Jesus Christus in der Hochschätzung dieser Frau noch einen großen Schritt weiter. Er führt sie im Gespräch Schritt für Schritt in die Heilsgeheimnisse und in sein tiefstes Persongeheimnis ein. Er schließt ihr Herz für das Transzendente, für das Übernatürliche auf und zeigt ihr, dass es nicht nur auf das Löschen des leiblichen Durstes ankommt. Er bietet ihr das lebendige Wasser der Gnade an mit den Worten „Wenn du wüsstest, was Gott gibt, und wer der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken, dann würdest du IHN bitten, und Er würde dir lebendiges Wasser geben!“ — Und weiter geht es voran in dieser geheimnisvollen Seelenführung Jesu für diese sündige Frau: Er bringt sie zu einer offenherzigen Beichte, zu einem reumütigen Eingeständnis ihrer gescheiterten Ehen - fünf Männer hatte sie gehabt und der, mit dem sie jetzt zusammenlebte, war nicht ihr rechtmäßiger Mann! Und weiter führt der Herr diese Frau in wahrhaft göttlicher Pädagogik, sodass sie immer mehr einsieht, dass es auf das Stillen des leiblichen Hungers und auf das Löschen des leiblichen Durstes allein wirklich nicht ankommt, sondern auf viel Wichtigeres. Jesus beantwortet dieser sündigen Frau die Sinnfrage des kurzen Erdenlebens: Verherrlichung und Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit in einem Leben aus dem Glauben im Einklang mit dem Willen Gottes und dann Erlangung des ewigen Heils!

Brüder und Schwestern im Herrn! Wie wichtig wäre es doch, die vielen oberflächlichen, gedankenlosen Menschen in unserer Zeit, die nur noch auf Konsum, Vergnügen und Sex bedacht sind, ebenfalls auf die Sinnfrage und Heilsfrage hinzustoßen, so wie es unser Herr und Heiland bei der Samariterin am Jakobsbrunnen getan hat! Die Männer und die Frauen seiner Zeit, aber auch unserer Zeit hat der Herrn sehr eindringlich vor kurzschlüssigem Wohlstandsdenken gewarnt mit dem Satz: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber schaden leidet an seiner Seele“, also den eigentlichen Sinn seines kurzen Erdenlebens verfehlt und das ewige Heil verscherzt!

Viele Menschen wollen das heute leider nicht mehr wahrhaben! Ein Beispiel dafür!

Olof Palme, der schwedische Regierungschef, hatte eines Tages einen Journalisten einer großen dänischen Tageszeitung an seinem Regierungssitz empfangen. Das Gespräch drehte sich um die moderne Gesellschaft. Ihren Problemen war das ganze Interview gewidmet. Am Ende der Fragen und Antworten trat der schwedische Ministerpräsident an eines der Fenster seines Büros, die einen Rundblick über Stockholm bieten. Er sagte nachdenklich zum Journalisten:

“Hier sehen Sie eine der reichsten Städte der Welt. Die meisten Menschen hier leben in guten Verhältnissen und haben alles, was sie sich wünschen können. Sie sollten also glücklich sein. Können Sie mir sagen, warum diese Leute es nicht sind? Warum sind sie unzufrieden und alles andere als froh?“

Die Frage ging tief. Der sie formulierte, war damals Chef eines sozialistischen Paradestaates, eines Landes, das gern als Visitenkarte der gesellschaftlichen Zukunft mit Wohlfahrt und Wohlstand vorgezeigt wurde. - Die Frage ließe sich auch so formulieren: Wenn der Mensch von der Geburt bis zur Beerdigung oder Verbrennung allen Aufstiegschancen, Genüssen, Freiheiten, Errungenschaften der Zivilisation und jeglicher sozialen Betreuung zugeführt worden ist, hat er genug damit?

Anscheinend nicht! Reichtum und Wohlstand sind wertvoll - genügen sie aber? Das Löschen des Durstes nach Wohlstand und immer höherem Lebensstandard ist vielleicht etwas Großes, löst aber auf keinen Fall die tieferen Probleme des Menschen. Wohlstand allein, Befriedigung aller materiellen Wünsche, Begierden und Süchte ist keine Antwort auf die auch im 20. Jahrhundert brennende Frage des Menschen: Was ist der Sinn meines Lebens? Wo sind Zukunft und Ziel meines Daseins? Fortschritt und Wohlstand verlieren Glanz und Bedeutung schließlich auf jeden Fall im Sterben des Menschen.

In das Sterben hinein und darüber hinaus gab nur einer eine Auskunft. Und nur er hat sich als kompetent dafür erwiesen: Jesus Christus! Von ihm stammt in dieser Sache auch die Richtlinie: „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ — vor allem nicht Hoffnung aufbauen über den Tod hinaus...

Uns sagt er das Gleiche, das er der Samariterin am Jakobsbrunnen gesagt hat: „Wer von diesem Wasser, vom Wasser des irdischen, vergänglichen Wohlstands trinkt, wird wieder durstig sein. Aber wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird nicht mehr durstig sein, vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur Quelle werden, die Wasser für das ewige Leben ausströmt!“

Das meinte der Herr von der Gnade und vom übernatürlichen Heil. Er selbst aber und seine Sakramente sind die Quelle, der dieses lebendige lebenspendende Wasser entströmt. Unser Oberhirte weist heute in seinem Fastenhirtenbrief auf die Sakramente Christi als Quelle der Gnade zum ewigen Leben hin. Dieser Hirtenbrief ist nachlesenswert. Sie finden ihn abgedruckt im Rupertusblatt. Die Sakramente der Taufe, der Buße, der hl. Eucharistie vor allem sind Gnadenquellen, aus denen wir immer wieder schöpfen könnten und sollten. Gerade jetzt in der gnadenreichen Fastenzeit, in der es auf die innere Erneuerung und auf die rechte Umkehr und Bekehrung, auf die erneute und vertiefte Sinngebung für das kurze Erdenleben ankäme.

Kehren wir zuletzt zu unserem Ausgangspunkt zurück: Christus und die Frau. Christi Hochschätzung der Frau, auch noch der sündigen Frau, der Samariterin am Jakobsbrunnen. Zuletzt, da ihr Christus das Herz für Höheres aufgeschlossen und einen Blick in die Tiefe seines Persongeheimnisses gewährt hatte, eilte sie in ihr Dorf und meldete den Leuten: Kommt, dort draußen beim Jakobsbrunnen ist ein Mann, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe. Ob er etwa der Messias ist? Sie fing also für Christus apostolisch zu werben an, wurde gleichsam Frohbotin Christi, fraulicher Apostel. Da verließen die Leute das Dorf und kamen zu Jesus und kamen zum Glauben an Ihn und sagten zuletzt zur Frau: „Wir glauben jetzt nicht mehr bloß, weil du uns das gesagt hast, denn wir selbst haben gehört und wissen jetzt: Dieser ist wahrhaftig der Heiland der Welt!“ Möge es doch vielen Frauen in unserer Zeit - ähnlich der Samariterin - gelingen, für Christus zu werben und die abseitsstehenden, skeptischen Männer zur Überzeugung zu führen: Dieser ist wahrhaftig der Heiland der Welt. Amen