2. Fastensonntag im Jahreskreis A

gehalten in St. M. Loreto am 18.3.1984

 

In unserer deutschen Sprache gibt es das Wort HEIMWEH. Keine andere Sprache hat dafür einen ähnlich innigen Ausdruck, obwohl es den Zustand des Heimwehs gibt seit Menschen irgendwo und irgendwann außer Landes - im Elend - leben müssen, in der Verbannung, im Exil ihre Tage zubringen müssen.

Heimweh, das kannten ganz besonders hart und bitter die Israeliten, die nach der Zerstörung Jerusalems durch den babylonischen König Nabuchodonosor in das Zweiströmeland zwischen Euphrat und Tigris nach Babylon verbannt worden waren. Sie saßen an den Flüssen Babylons und weinten, wenn sie vor Heimweh nach Jerusalem und dem zerstörten Tempel an die Heimat dachten! Heimweh, furchtbares Heimweh hatte der heißblütige hochmütige König der Numidier, Jugurtha, der von den Römern besiegt und nach Rom aus seiner afrikanischen Heimat weggeschleppt worden war und im mamertinischen Kerker am Fuß des Kapitols als Kriegsgefangener schmachtete. Salust erzählt davon. Durch nichts war dieser besiegte, aber immer noch stolze König kleinzukriegen, weder durch Hunger noch durch Durst noch durch sonst eine Strafe, die man über ihn verhängte. Als aber eines Tages vor dem mamertinischen Kerker ein afrikanischer Sklave heimatliche Lieder aus Afrika sang und diese Lieder in den Kerker zu König Jugurtha hineindrangen da bekam er solches Heimweh, dass er den Kopf an den Kerkermauern blutig stieß.

Warum erzähle ich das? Weil ich glaube, dass auch unser Herr und Heiland Heimweh gehabt hat, Heimweh nach dem Vater im Himmel. Vielleicht ist es richtig, wenn manche Gottesgelehrte gemeint haben, das Heimweh nach der Herrlichkeit beim Vater im Himmel habe den Herrn immer wieder auf die Berge Palästinas hinaufgetrieben zu nächtlichem Gebet und eines Tages, während er auf dem Berg Tabor in trautem Zwiegespräch mit dem Vater im Gebet weilte, sei er dabei als Auswirkung seines Heimwehs nach dem Vater in die Verklärung hineingehoben worden. Und als dann die drei Apostel auf dem Berg Tabor erleben durften, worum es bei dieser Verklärung des Meisters ging, der sich nun ganz daheim fühlte beim Vater, von dem er so oft und so ergreifend zu ihnen gesprochen hatte, da packte auch den Petrus das Heimweh nach den Wohnungen im Hause des himmlischen Vaters, die Fremde ward ihm auf einmal verleidet, und er sehnte sich danach, in dieser Beheimatung beim verklärten Meister und dessen himmlischem Vater bleiben zu können. Und Petrus sprach nun überwältigt von diesem Gefühl des Daheimseins die Worte: "Herr, es ist gut, dass wir hier sind..."

So wie dem Petrus damals auf dem Berg Tabor ist es noch jedem ergangen, der auch nur ein wenig in die Wohnungen im Hause des himmlischen Vaters hineinschauen durfte. So erging es dem hl. Stephanus, der die Schmerzen und Qualen der Steinigung ganz vergaß, als er den Himmel offen und den Herrn Jesus zur Rechten des Vaters stehen sah... So erging es dem hl. Paulus, der einmal in den siebten Himmel erhoben wurde und dann geseufzt hat, als er schildern sollte, was kein Auge je gesehen, kein Ohr je gehört und was in kein Menschenherz gedrungen ist, weil das so unsagbar groß und beglückend ist, was Gott denen bereitet hat, die Ihn lieben. Dem hl. Paulus war es zuletzt nicht traurig, sondern freudig zu Mute, als er feststellen musste: "Wir haben hier keine bleibende Stätte... Wir suchen vielmehr die zukünftige". Die Uhr wird von der sogenannten. „Unruhe" in Gang gehalten. So ist es auch beim Menschenherzen. Darum hat der hl. Augustinus gesagt: "Unruhig ist unser Herz, bis es Ruhe findet in Dir, o Gott!"

Heimweh haben wir schließlich alle, ob wir es zugeben oder nicht, Heimweh nach Hause, nach dort, wo alles geklärt und verklärt wird. Da ist in dem Kloster, wo ich vor drei Jahren die jährlichen Exerzitien zu halten hatte, eine Schwester gestorben, die von schwerster Krankheit befallen bis zum Äußersten ausgezehrt war und niederbrannte wie eine Kerze. Aber sie leuchtete und strahlte dabei bis zuletzt immer ganz verklärt und nie kam auch nur ein einziges Wort der Klage über ihre Lippen. Sie hatte tüchtig in der Erziehung an der weiblichen Jugend gearbeitet und war von allen geschätzt und geliebt. Aber durch die monatelange Krankheit war sie innerlich so gereift, dass sie schließlich vor Heimweh nach dem Himmel fast verging und ganz verklärt allen, die zu ihr kamen, sagte, wie sehr sie sich in Heimweh nach dem Himmel sehne.

Fragen wir aber jetzt noch, warum Christus das Gipfelerlebnis auf dem Berg Tabor die drei Apostel miterleben ließ. Diese drei Apostel hatte Christus mehr als die anderen in seine Geheimnisse eingeweiht. Diese drei Apostel wollte Er auch mehr als die anderen Apostel in sein bitteres Leiden einbeziehen. Er wollte sie am Ölberg in seine Todesangst und Agonie mitnehmen. Sie sollten auch das erleben und sollten ihm dann trotz des erlebten Leidens in allem treu bleiben. Um sie für die Stunden des Leidens zu stärken, dazu sollten diese drei Apostel zuerst die Verklärung des Herrn erleben. Sie sollten dabei erleben und spüren: Nur durch Kreuz und Leid geht es zur Himmelsherrlichkeit in die Verklärung hinein. Es ist so vielsagend, wie der verklärte Herr sich mit Mose und Elia unterhalten hat. Was war der Inhalt dieses Dialogs? Der Evangelist Lukas berichtet es uns: „Er sprach mit ihnen über den Ausgang, den Er in Jerusalem nehmen sollte". Gemeint ist der Ausgang seines Leidens und Sterbens. Dieses Gespräch hörten die drei Apostel. Auch dadurch also hätten sie auf das leiden und Sterben ihres Meisters vorbereitet werden sollen. Er selbst hatte unmittelbar vor seiner Verklärung auf dem Berg Tabor zu seinen Aposteln in der ersten Leidensweissagung über das gesprochen, was auf Ihn in Jerusalem wartete. Und Er hat nach der Verklärung noch einmal in der 2. Leidensweissagung wieder davon gesprochen. So wären die drei Apostel wahrlich darauf vorbereitet gewesen. Haben sie dann im Leiden des Meisters standgehalten? Nein! Schon am Ölberg draußen, als der von blutigem Angstschweiß überronnene Meister sie bat: „Wachet mit mir“, da waren sie zu schwach und schliefen ein, so dass der Herr dann zu ihnen klagend sagen musste: "Nicht einmal eine Stunde konntet ihr mit mir wachen!? Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet, denn der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach!“ Und dann oben auf Golgotha, beim Sterben Christi am Kreuz? Wo sind die Apostel? Geflohen sind sie. Und von den dreien, die der Herr auf den Berg der Verklärung mitgenommen hatte, ist nur ein einziger da, Johannes, der treu unter dem Kreuz des Meisters ausharrte.

So sind wir Menschen! Armselig schwach. Und doch sollten wir es lernen: Nur durch Leid und Kreuz geht es hinein in die Himmelsherrlichkeit der nie mehr aufhörenden Verklärung, in der dann alles, was uns im Erdenleben so schwer fiel und so undurchsichtig, unbegreiflich und rätselhaft dünkte, geklärt und verklärt wird.

Ob wir das Wort des Petrus auf dem Berg Tabor nach dem Gipfelerlebnis der Verklärung des Herrn übersetzen mit dem Satz: "Herr, hier ist gut sein", oder ob wir es so übersetzen: "Herr, es ist gut, dass wir hier sind", immer gilt es zuerst durch das Kreuz reif zu werden für die bleibende Verklärung. Gut ist es aber, wenn uns inmitten aller irdischen Freuden und irdischen Leiden nie das Heimweh verlässt. Denn wir haben hier keine bleibende Stätte. Erst drüben ist unsere wahre Heimat. Dazu hat der himmlische Vater bei der Verklärung seines menschgewordenen Sohnes die Mahnung gegeben, nicht bloß den drei Aposteln, sondern uns allen: Dieser ist Mein vielgeliebter Sohn! Auf Ihn sollt ihr hören! Auf Ihn sollt ihr schauen! Wie Er es uns vorgemacht hat in frohen und in schweren Stunden, immer und in allem den Willen des himmlischen Vaters zu erfüllen, in frohen und in schweren Stunden, das müssen wir von Ihm lernen, dafür müssen wir uns einüben, um dann bestehen zu können, wenn uns Opfer abverlangt und Kreuze auferlegt werden.

Denken wir uns jetzt in der Fastenzeit mehr als sonst hinein in das Leiden und Sterben des Herrn, an Hand einer durchbetrachteten Kreuzwegstation oder an Hand der Geheimnisse des schmerzhaften Rosenkranzes. Er klagt nicht, Er jammert nicht, Er tut, was der Vater von ihm verlangt und ist gehorsam bis in den Tod, bis in den Tod am Kreuze. Dafür aber hat ihn der Vater dann aber auch auferweckt und zur ewigen Verklärung und Herrlichkeit bei sich gelangen lassen. Amen.