1. Fastensonntag

Die dreifache Versuchung Jesu und unsere Versuchung

gehalten in St. M. Loreto am 11.3.1984

 

 

Wollen wir das heutige Sonntagsevangelium richtig verstehen, müssen wir das in der hl. Schrift gebrauchte Wort „versuchen“ und „Versuchung“ zunächst einmal ins Auge fassen. Das biblische Wort für „versuchen“ bedeutet jemand auf die Probe stellen, jemand auf seinen wahren Wert hin prüfen. In diesem Sinn wird in der hl. Schrift sogar von Gott gesagt, dass er bestimmte Menschen versucht, d.h. auf die Probe stellt und prüft, ob sie sich im Glauben und im Gehorsam bewähren; so wird es etwa von Abraham (vgl. Gen 22,1-19) oder von Job gesagt, dass sie von Gott versucht werden.

Anderseits heißt es im Jakobusbrief (1,13), dass Gott niemand versucht: Gott prüft wohl den Glauben und Gehorsam der Menschen, verleitet aber niemand und niemals zur Sünde. Den Anreiz zur Sünde schafft ja niemals Gott, sondern entweder die böse Lust in uns, oder die bösen Verführer um uns herum oder der böse Feind unter uns sind es, die den Anreiz zum Bösen schaffen. Gott lässt es dann zu, dass sich der, Mensch bei diesen Anfechtungen zum Bösen bewähren muss. Dabei lässt Gott es niemals zu, dass wir Menschen über unsere Kraft hinaus versucht werden. Gott gibt vielmehr, wie der hl. Paulus im 1 Kor 10,13 schreibt, die Gnade, dass wir die Versuchung ertragen können.

Wichtig ist auch noch die Feststellung, dass Versuchung als solche noch nicht Sünde ist, sie wird nur zur Sünde, wenn dem Anreiz, der in der Versuchung liegt, nachgegeben und eingewilligt wird. Dann versagt der Mensch, er hat die von Gott zugelassene Prüfung und Erprobung, die in der Versuchung lag, nicht bestanden, er hat sich im Glauben und im Gehorsam nicht bewährt.

Jesus Christus hat seinen Jüngern und uns allen geboten, zu wachen und zu beten, damit wir nicht in Versuchung fallen und nicht in der Versuchung fallen. Unser Herr und Heiland hat uns aber nicht nur diese sichersten Mittel, um in der Versuchung standzuhalten, nämlich Wachsamkeit und Gebet, angeraten, er hat uns auch das Beispiel gegeben, wie man sich in der Versuchung verhalten soll. Von Ihm heißt es im Hebr 4,15, „dass Er versucht ward, allenthalben gleich wie wir, jedoch ohne Sünde blieb“. Die Evangelien kennen sehr konkret solche Versuchungen, die an Jesus herangetragen wurden: Versuchungen vom Volk mit seiner falschen Messiaserwartung, Versuchungen von den Aposteln mit ihrer anfangs allzu irdischen Einstellung, Versuchungen von Petrus, der den Meister vom Gang ins erlösende Leiden und vom Kreuz abhalten wollte, Versuchungen von den ehrgeizigen Verwandten. Alle diese Versuchungen Jesu, wie sie in den Evangelien geschildert oder wenigstens angedeutet werden, stammten letztlich vom großen Widersacher Jesu, vom Teufel. Immer aber ging es dem Teufel darum, Jesus zum Verrat an seiner wahren Messiaswürde und Messiasaufgabe zu verführen, zum Ungehorsam gegenüber dem Auftrag des Vaters zu verleiten und zum Missbrauch seiner Gottessohnschaft und göttlichen Macht. Und immer ging es bei den Versuchungen Jesu um die subtile Verlockung, den Teufel mit den Waffen des Teufels zu schlagen. Nur so verstehen wir die Heftigkeit, mit der der Heiland reagiert auf das Ansinnen des Petrus, Jesus solle doch dem Leiden und dem Opfer aus dem Wege gehen. Was sagt Petrus auf die Leidensankündigung Jesu? „Gott bewahre, Herr! Das soll dir niemals widerfahren!“ Und Jesus darauf: „Hinweg von mir, Satan! Du bist mir ein Ärgernis, denn du denkst nicht die Gedanken Gottes, sondern denkst allzu menschlich!“(Mt 16,22f)

Jesus steht in den Evangelien vor uns als der während seines ganzen Lebens immer wieder Versuchte, der aber nie in die Versuchung einwilligte, sondern in vollkommenen Gehorsam gegen den Auftrag des Vaters ganz gerade seinen Weg ging.

Was sich nun allenthalben in den Evangelien an Versuchungen im Leben Jesu zeigt, das ist nun programmatisch in letzter Dichte und Intensität komprimiert zusammengefasst dargestellt in der Versuchungsgeschichte bei Mt 4,1ff und Lk 4,1ff, wie sie uns heute als SoEv am 1. Fastensonntag zur Kenntnis gebracht wird:

Der Versucher, der Teufel, macht sich in dreifacher Steigerung an Jesus heran. Die dabei vom Teufel gehandhabte Methode ist der Dialog, dieser aber wird durchgeführt mit missbrauchten, falsch interpretierten Worten der Hl. Schrift. Gerade diese Methode erleben wir in unserer Zeit immer wieder, um die Menschen im Glauben zu verwirren, zu verunsichern und schließlich zum Glaubensabfall zu bringen.

Der Inhalt des Dialogs ist dabei, was die Absicht des Teufels Jesus gegenüber betrifft, sehr bezeichnend: Jesus als Gottessohn soll seine ihm zur Verfügung stehende Macht und Würde missbrauchen. Das würde ihn von seiner Messias- und Erlöseraufgabe abbringen und zum Ungehorsam gegen den Auftrag des himmlischen Vaters verführen.

Jesus willigt aber in keine der drei Versuchungen ein, er bleibt gehorsam gegenüber dem Willen des Vaters, seine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der Ihn gesandt hat; er ist gehorsam bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuze.

Auf Grund des dreifachen Sieges Christi in der dreifachen Versuchung durch den Bösen können wir Christen zuversichtlich hoffen und darauf vertrauen, dass auch wir die nötige Gnade bekommen und dann die nötige Widerstandskraft haben, um in der Versuchung standhalten zu können. Der Herr hat uns ja zum Vater im Himmel zu beten gelehrt: „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen!“

Sehen wir uns nun die dreifache Versuchung Jesu in der Wüste noch näher an und beachten wir dabei wie es hier um das geht, was auch uns am allermeisten zu schaffen macht und am meisten von unserer Aufgabe und vom letzten Ziel abbringen könnte:

1. Bei der ersten Versuchung geht es um eine völlige Verfälschung der messianischen Aufgabe Jesu: Er ist gekommen, um die Menschen von der Sünde und vom ewigen Tod zu erlösen. An die Stelle dieses echten messianischen Wirkens im religiös - übernatürlichen Sinn soll nun nach den Vorstellungen des teuflischen Versuchers ein irdisches, politisches Wirken treten: sich selber und den Menschen Nahrung und Brot und politische Befreiung bringen, das sei doch eine wahrhaft große und wichtige Aufgabe, viel wichtiger als Erlösung von Sünde und Hölle; der Mensch braucht ja Brot zum Leben, alles andere ist überflüssig und lenkt doch nur vom eigentlichen Ziel, ein irdisches Paradies des Wohlstands aufzubauen, ab. So lautet nun die Einflüsterung des Teufels: „Wenn du der Sohn Gottes bist, so befiel doch, dass diese Steine zu Brot werden....“ Jesus weist das Ansinnen des Versuchers in der Wüste klar zurück: Er verweist vom Brot für den Leib auf das Brot für die Seele, das Wort Gottes, auf den Auftrag Gottes: „Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt!“

Die große Versuchung unserer Zeit ist das: Man gibt sich in materialistischer Einstellung mit dem Brot für den Leib, mit irdischem Wohlstand zufrieden und vergisst auf das, worauf es letztlich allein ankommt, wie es uns der Herr in jenem ernsten Wort gesagt hat: „Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber schaden leidet an seiner Seele“, die doch zu ewigem Glück bestimmt ist!

2. Bei der zweiten Versuchung Jesu geht es dem teuflischen Versucher um eine Verfälschung der Methode, die der Messias in seinem Wirken anwenden soll: Nicht durch demütiges Sich-hinopfern soll er die Menschen erlösen, er soll es sich doch leicht und bequem machen. Wenn er der Sohn Gottes ist, hat er doch die Macht, um spielend leicht zum Erfolg zu kommen in seinem messianischen Wirken. Etwa durch eine billige Sensation: „Wenn du der Sohn Gottes bist, so stürze dich vom Dach des Tempels hinunter“, zeige dich als Messiaskönig in Macht und Herrlichkeit, wage den Sprung in die Tiefe! Es kann dir ja nichts passieren. Es steht ja geschrieben, dass dich die Engel auf den Händen tragen werden.“ - Wer kennt sie nicht, diese Versuchung, seine Macht, seine Größe, sein Können zu manifestieren, nur um Eindruck zu wecken, um sensationell zu wirken, um anzukommen – Jesus aber lehnte auch das ab. Er blieb nicht bloß seiner messianischen Aufgabe treu, er ließ sich nicht zu einem Entwicklungshelfer zu irdischem, materiellem Wohlstand umfunktionieren, auch nicht zu einem politischen Befreier aus innerweltlichen Nöten und Zwängen. Er wollte gemäß dem Auftrag des Vaters Erlöser aus der Urnot der Sünde sein und vor der ewigen Verdammnis bewahren, und dazu wollte er sich keines sensationellen Mittels bedienen, sondern nur der gehorsamen, liebenden Ganzhingabe an den Willen des Vaters im Sühnopfer am Kreuz. So lehnte Jesus auch in der zweiten Versuchung die Einflüsterung des Teufels energisch ab. Den falsch interpretierten Worten der Hl. Schrift über die Engel, die ihn auf Händen tragen werden, damit sein Fuß nicht an einen Stein stößt, setzt Jesus ein anderes Schriftwort entgegen: „Es steht auch geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott nicht versuchen!“

Wieder wollen wir daran denken, wie das die Versuchung unserer Zeit ist: sich alles leicht und bequem zu machen, auch auf religiösem und sittlichem Gebiet; nur keine Opfer, nur keinen Verzichte: es geht auch ohne das, sogar leichter und billiger  Wie viele Menschen, auch Christen, auch Katholiken versagen heute in dieser Versuchung!

3. In der dritten Versuchung geht es um das messianische Reich, das der wahre Messias aufbauen soll. Hier versucht es der Teufel noch einmal auf eine andere Tour, er geht diesmal aufs Ganze, er setzt nun alles auf eine Karte und flüstert Jesus ein: Was plagst du dich denn lange, das messianische Reich, das Reich Gottes in den Herzen der Menschen und der Welt aufzubauen Es geht viel einfacher und leichter Und er zeigt nun Jesus alle Reiche der Welt und sagt zu ihm: „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest!“ Alles, ja alles will ich dir geben und zwar ohne Opfer, ohne Leiden, ohne die Schmach des Kreuzes, ohne die Schmach des Verbrechertodes am Kreuz. Spielend leicht soll dir alles in die Hände fallen: der Erfolg, die Anerkennung vonseiten der Menschen und vonseiten der Welt. Die Herrschaft über die Welt soll dein sein. Nur eins musst du tun: Anerkennen, dass ich der Mächtigere bin, dass ich Gott bin. Fall nieder und bete mich an!”

Was aber tut Jesus in dieser dritten Versuchung? Er schleudert es dem Teufel in heiligem Zorn entgegen: „Weiche Satan! Denn es steht geschrieben: Den Herrn, deinen Gott allein sollst du anbeten und ihm allein sollst du dienen!“

Glauben wir nun ja nicht, dass diese dritte Versuchung unserer Zeit fremd ist. Im Gegenteil: Anpassung an die Welt auch bei jenen, die sich Gott im Priester- und Ordensstand geweiht haben, ist das nicht die dritte Versuchung Jesu? Vergötzung von Geschöpfen und geschöpflichen Dingen, vor denen man in anbetender Huldigung in die Knie sinkt, während man Gott die Anbetung verweigert und vor dem menschgewordenen Sohn Gottes im hl. Sakrament nicht mehr die Knie beugt! Der Tanz um das goldene Kalb des Wohlstands, der Befriedigung aller Leidenschaften, bis hin zu den niedrigsten und perversesten, ist das nicht ein teuflischer Götzendienst? Entthronung Gottes im Atheismus, der sich immer mehr ausbreitet, weil man nicht bloß die Existenz Gottes leugnet, sondern dort, wo man noch an die Existenz Gottes glaubt, ihn an den Rand des Lebens abschiebt und zu einer unbedeutenden Randerscheinung im Menschenleben degradiert.

Wahrlich, weit sind wir gekommen in unserer Zeit! Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet, so ruft uns der Herr zu!

Beherzigen wir es jetzt in der Fastenzeit mehr als sonst. Amen.