1. Adventsonntag

gehalten in St. M. Loreto am 3.12.1989

 

Lassen wir zuerst den Völkerapostel Paulus zu uns sprechen:

„Die Stunde ist da, vom Schlafe aufzustehen!“

Bei diesen Worten des hl. Paulus muss ich daran denken, wie es in meiner Studienzeit im Borromäum zuging, wenn wir im großen Schlafsaal, in welchem 30-40 Buben schliefen, geweckt wurden, weil die Stunde da war, vom Schlafe aufzustehen. Beim Wecken durch den Präfekten ging es da manchmal recht komisch zu. Die einen sprangen beim Wecken gleich munter auf die Beine. Die anderen, sie hörten den Weckruf, rieben sich aber lange, sehr lange die Augen, seufzten und stöhnten, bis sie dann tatsächlich, wenn auch sehr langsam, aus dem Bett herauskrochen. Eine dritte Gruppe von Schläfern waren jene, die beim Gewecktwerden zuerst gähnend nach der Uhr blickten und dann schimpften: „Was weckt man uns denn schon, es ist doch noch eine halbe Stunde Zeit!“ Und richtig, diese Siebenschläfer drehten sich auf das andere Ohr und schnarchten schon wieder weiter.

Jetzt noch einmal das Wort des hl. Paulus: „Brüder, ihr wisst, die Stunde ist da, vom Schlafe aufzustehen!“ Viele in der „schlafenden Kirche“ sollten im Advent endlich aufwachen. Wie geht es beim Aufstehen vom geistig-geistlichen Schlaf, etwa jetzt im Advent:

1. Da sind die Frischen, die Opferbereiten im geistlichen Leben, die es verstehen, solche Gnadenzeiten, wie es der Advent ist, auszunützen, um noch mehr voranzukommen auf dem Weg zur Vollkommenheit: Mit ihnen ist etwas anzufangen. Sie fangen opferbereit mit neuem Schwung, mit neuem Eifer an. Im Beten! Im Kirchgang! In der Pflichterfüllung! In der Charakterbildung! In der Selbsterziehung! Im Streben nach Heiligkeit!

2. Die zweite Gruppe von Christen: Sie schlafen weiter und wollen nicht geweckt werden, sie wollen nicht gestört werden in ihrem geistig-geistlichen Schlaf. Sie schlafen und bleiben weiter liegen im Bett ihrer unguten Gewohnheiten und Leidenschaften, sie bleiben liegen auf dem Diwan ihrer religiösen Abgestandenheit und Lauheit; sie nehmen es nur übel, wenn sie geweckt, aufgerüttelt werden; alles ist ihnen zu viel im geistlichen, religiösen Leben!

3. Eine dritte Gruppe von Christen sind jene, die langsam, sehr langsam aufstehen, die von ihren sündigen Gewohnheiten nur schwer lassen und erst dem wiederholten Gnadenruf Folge leisten. Aber immerhin, wenn sie einmal – etwa durch eine schwere Prüfung oder durch einen Schicksalsschlag wachgerüttelt werden - dann werden sie wirklich wach und fangen ein neues, ein besseres Leben an!

4. Aber es gibt dann noch eine vierte Gruppe von Christen: Das sind die total Verschlafenen, die im Erdenleben, im religiösen Leben alles verschlafen, bis es zuletzt zu spät ist! Denken wir nur an das siebte Sendschreiben in der Geheimen Offenbarung: weder kalt noch warm, sondern lau! Darum werden sie zuletzt von unserem Herrn ausgespieen aus seinem Munde!

„Die Stunde ist da, vom Schlafe aufzustehen.“

 

Nach dem hl. Paulus soll nun Christus zu uns sprechen:

Der Herr Jesus Christus weist uns darauf hin, dass niemand außer Gott den Tag und die Stunde kennt, wann Er zum Gericht, zum persönlichen Gericht über einen jeden Menschen und zum Jüngsten Gericht kommen wird. Es wird unvermutet und plötzlich, wie damals, als die Sintflut über die Menschheit hereinbrach, kommen.

Der Vergleichspunkt zwischen der Wiederkunft des Herrn zum Gericht und dem Hereinbrechen der Sintflut von einst liegt im Moment der Überraschung: So wie damals die Menschen in Saus und Braus dahinlebten, als plötzlich und völlig unvermutet die Katastrophe kam, so könnten die Menschen jetzt von der Wiederkunft zum Gericht überrascht werden. Der Herr will uns Menschen also vor einer falschen Selbstsicherheit warnen und uns zur Wachsamkeit ermahnen. Die Ungewissheit darüber, wann der Herr zum Gericht kommen wird, erfordert Wachsamkeit.

Das unterstreicht Christus dann noch im Ev durch das Gleichnis vom Dieb, der sich nicht etwa erst feierlich anmeldet. Und wie der Hausherr wachen würde, wenn er wüsste, wann der Dieb kommt, so müssen die Jünger Christi wachsam und immer bereit sein.

Es ist nun wertvoll, sich klar zu machen, was denn das eigentlich heißt, wachsam zu sein:

1. Wer wachsam ist, hält sich bereit, jederzeit das Notwendige zu tun, damit alles in Ordnung ist, wenn etwa ganz unvermutet und plötzlich eine Kontrolle kommt.

2. Wer wachsam ist, lebt nicht blind in den Tag hinein, sondern hält Ausschau und trifft Vorsorge.

3. Wer wachsam ist, ist sich seiner Verantwortung bewusst, dass es vielleicht wirklich ganz plötzlich Rechenschaft ablegen heißt über das bisherige Leben.

4. Wer wachsam ist, hat ein Ziel vor sich, auf das hin er lebt und arbeitet. Wer wachsam ist, verpasst die entscheidende Stunde nicht, er nützt die gegebenen Möglichkeiten, um allzeit zu tun, was sein Herr, sein Vorgesetzter von ihm erwartet.

Die Gefahr, das gerade Gegenteil von wachsam, also nicht wachsam, unwachsam und unachtsam zu sein, nachlässig zu sein, abgestumpft und schläfrig, gleichgültig und im Glauben uninteressiert zu werden, ist bei Menschen im Wohlstand eigentlich jederzeit genau so groß wie damals vor dem Hereinbrechen der Sintflut. Es ist ja eine alte Erfahrungstatsache: Wohlstand und Wohlleben bringen die Gefahr mit sich, zu verweichlichen, abzustumpfen und sich einer spießbürgerlichen Sattheit hinzugeben. Das aber ist gefährlich. Das spürt vielleicht ganz unbewusst die junge Generation. Darum begehrt sie auf gegen die Sattheit der Wohlstandsgesellschaft.

Wie Wohlstand und Reichtum und sattes Genießen abstumpfen und gleichgültig gegen höhere Werte machen, zeigt sehr anschaulich das alte Spiel von „Jedermann“: Auf einmal wird Jedermann überrascht vom Boten Gottes, vom Tod, der ihn ruft, jetzt in dieser Stunde, sofort und ohne Aufschub vor dem Gericht Gottes Rechenschaft abzulegen.

Die Grundhaltung des wahrhaft gläubigen Menschen muss auf den kommenden Herrn gerichtet sein, immer bedenkend, dass unser ganzes irdisches Dasein unter der Möglichkeit des plötzlichen Abbrechens unseres Zeltes steht. Unser Erdenleben mit allem, was wir schaffen und erschaffen, steht unter dem Zeichen der Unsicherheit, der Fraglichkeit und Gebrechlichkeit. Wehe uns, wenn wir das zu wenig bedenken oder gar meinen, gedankenlos in den Tag hinein leben zu können in der Meinung, dass dann ja doch alles einmal aus ist und total zu Ende geht. Furchtbare Täuschung wäre das und entsetzliches Erwachen wäre die Folge.

Wachsamkeit muss gerade in Zeiten, wie es der Advent im Kirchenjahr ist, im Gegensatz stehen zu matter Schläfrigkeit und Lauheit und zu unfruchtbarer Träumerei. Wachsamkeit heißt, die richtige Einstellung haben zur Wirklichkeit, den rechten Sinn für die Realität haben, für die Realität des kurzen Erdenlebens, das sicher einmal, vielleicht schon bald, vielleicht ganz plötzlich ein Ende nimmt und abgelöst wird vom jenseitigen, ewigen Leben.

Statt wachsam zu sein träumen so viele Menschen und fliehen vor der bedrängenden und schmerzlichen Realität, entweder durch leichtsinnige Genusssucht oder durch oberflächliche Zerstreuung, oder suchen sich gar durch Alkohol und Drogen über die Wirklichkeit hinwegzutäuschen. So haben es die Menschen vor dem hereinbrechen der schaurigen Sintflut gemacht. Sie wurden gewarnt, nicht nur einmal, sondern oft, aber sie spotteten nur darüber. Machen es heute nicht viele Menschen ganz ähnlich? Die Gottesmutter mahnte und warnte in Lourdes, in La Salette, in Fatima und in Medjugorje zur Umkehr, zur Buße, zum Gebet, zur Besinnung auf den Ernst der Situation. Man lacht und spottet darüber und nimmt es jedenfalls nicht ernst. – Auch das wäre ein Sich-hinwegtäuschen über die Realität, wenn man sich jetzt im Advent nur in heimelige, rührselige Stimmung durch Brauchtum und den vorweihnachtlichen Rummel geschäftlicher Propaganda hineinversetzen ließe, statt in dieser Zeit der Besinnung mehr zu beten als sonst, mehr Opfer zu bringen als sonst, mehr auf Selbstbeherrschung und Verzicht bedacht zu sein, einfach anders zu leben als sonst, einfacher, zufriedener, genügsamer, um dafür Werke der Liebe und der Hilfsbereitschaft dem Bruder in Not gegenüber verrichten zu können!

Beherzigen wir doch die Mahnung, die der Völkerapostel uns heute, zu Beginn des Advents, in der Epistel gibt: „ Lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts! Lasst uns so leben, wie es dem Licht des Tages entspricht, ohne Fressen und Saufen, ohne Unzucht und Ausschweifung, ohne Streit und Eifersucht!“

Die Waffen des Lichtes anlegen! Die Waffen des Lichtes sind Gebet, Opferbereitschaft, Werke der Liebe, Wachsamkeit, Kampf gegen Lauheit und falsche Sorglosigkeit! Eine alte Legende erzählt: Luzifer habe einst mit den Teufeln Rat gehalten, wie man die Menschen am besten verderben könne. Jeder Teufel musste berichten, welche Methode er da für die beste halte. Da sprach der eine: „Ich verführe die Menschen zur Unzucht! Denn wenn sie nichts mehr als nur die Befriedigung ihrer niedersten Triebe im Sinn haben, haben sie für Gott und ihre unsterbliche Seele nichts mehr übrig!“ Jeder Teufel wusste ein anderes Mittel zu berichten, mit dem er erfolgreich die Seelen ins Verderben stürze. Schließlich trat ein scheinbar recht unbedeutender Teufel hervor und sagte: „Ich gewöhne die Menschen daran, lau, gleichgültig und sorglos in den Tag hineinzuleben. Das disponiert die Menschen am sichersten dazu, schließlich durch schwere Sünden Gott untreu zu werden. Schon die Frömmsten habe ich dadurch zu Fall gebracht!“ Da klatsche Luzifer in die Hände und rief: „Du machst es richtig. Das ist die beste Methode!“