Marienverehrung 10 Jahre nach Konzilsende

 

Liebe Gläubige!

Wenn wir heute, am Fest der Unbefleckten Empfängnis in der der Immaculata geweihten Kirche zusammengekommen sind, wollen wir uns nicht bloß auf das Dogma der Unbefleckten Empfängnis der jungfräulichen Gottesmutter gläubig froh und dankbar besinnen, sondern auch an das Dogma der leiblichen Aufnahme Mariens denken, das vor 25 Jahren, am 1. November 1950 feierlich verkündet worden ist. Gleichzeitig aber wollen wir des 10. Jahrtages der feierlichen Beendigung des II. Vat. Konzils gedenken - es war der 8.Dezember 1965 - und wollen uns dabei in einer ehrlichen Gewissenserforschung fragen, was aus der einst so blühenden Marienverehrung in dieser vergangenen 10 Jahre geworden ist. Denn es lässt sich nicht leugnen, dass die Marienverehrung und Marienliebe bei vielen Katholiken in ganz auf—fallender Weise stark abgenommen hat und wie von Raureif befallen worden ist. Vor einiger Zeit fragte darum Kardinal Leo Suenens, der Erzbischof von Brüssel-—Mecheln, den bekannten deutschen Theologen Karl Rahner: "Warum hat sich nach dem Konzil in Bezug auf Maria, die Mutter Jesu, eine Art Kälte eingestellt?" "Sehen Sie", sagte Karl Rahner darauf, "der Grund ist der, dass die Christen heute eine Tendenz haben aus dem Christentum eine Abstraktion zu machen. Aber Abstraktionen brauchen keine Mutter!"

Es ist viel Richtiges an dieser Antwort. Besonders in der Theologie steckt heute vielfach die Tendenz zum Abstrakten und zum Rationalen, zu dem, was mit der Vernunft allein erfasst werden kann, ganz im Sinn des Rationalismus. Das soll nicht heißen, wir bräuchten keine Theologie oder wir müssten dabei die Ratio, die Vernunft ausschalten. Aber der Glaube rangiert vor der Theologie, und zum Glauben braucht es nicht nur die Ratio, die Vernunft. Zum Glauben gehört auch das Herz, das Gemüt, die Wärme. Die Wärme aber kommt von der Mutter, weil die Mutter, jede gute Mutter, eine Liebende ist, die ohne Herz nicht denkbar ist. Maria aber ist die große Liebende mit dem unbefleckten Herzen. Max Horkheimer sagte in einem viel beachteten Interview kurz vor seinem vor wenigen Monaten erfolgten Tod, er sei der Überzeugung, dass Liebe besser sei als Hass. Wenn ein nichtchristlicher Philosoph, der einmal überzeugter Marxist war, dieses Wort als sein Vermächtnis der Welt mitgeteilt hat, sollten dann nicht wir Christen, die wir um die Menschwerdung Gottes, der die Liebe ist, wissen, diese Botschaft nicht laut in die Welt hineinrufen, dass Liebe besser als Hass ist? Das gelingt uns aber am besten durch den Hinweis auf Ihn, der in seinem Herzen nichts als Liebe kannte, und durch den Hinweis auf sie, die seine Mutter war und die die große Liebende war mit ihrem unbefleckten Herzen.

Von diesem Hinweis auf Maria, die große Liebende, und auf ihr unbeflecktes Herz wollen aber leider heute so viele Menschen, auch Katholiken, nichts mehr wissen. Die Liebe zu Maria ist bei vielen abgekühlt, die Verehrung Mariens ist bei vielen stark zurückgegangen, das Lob auf Maria, die große Liebende, und auf ihr unbeflecktes Herz ist bei vielen Katholiken verstummt Wieso und warum?

Ist etwa das II. Vat. Konzil, das genau vor 10 Jahren zu Ende ging, schuld daran? Sicher nicht! Denn es hat in seinem wohl bedeutsamsten Dokument, in der Dogmatischen Konstitution über die Kirche, seine große Kirchenlehre seine Ekklesiologie gipfeln lassen in einer großartigen Mariologie im Kapitel über "die selige, jungfräuliche Gottesgebärerin im Geheimnis Christi und der Kirche". Das Konzil hat in diesem kostbaren marianischen Kapitel Maria geschildert als das vornehmste, glaubensstarke Glied der Kirche, als das vielsagende Urbild der Kirche und als die zu jedem Opfer und zu jeder Hilfe allzeit bereite, liebende Mutter der Kirche.

Ist am Rückgang der Marienliebe und Marienverehrung seit dem Ende des II. Vat. Konzils die seit damals verstärkt einsetzende Besinnung auf das Wesentliche im Glauben und in der Liturgie schuld? Nicht selten hört man ja heute es gehe in unserer Zeit um das Wesentliche des Glaubens, um die Grundstruktur des Christlichen; das weniger Wichtige, das Periphere, das Nebensächliche könne heute ruhig zurücktreten, übergangen werden, ja auch ohne Schaden für die Kirche vernachlässigt werden. Es ist aber sehr fraglich, ob man wirklich Maria, ihre Person, ihre Heilsbedeutung, ihre Symbolgestalt in die Kategorie des weniger Wichtigen, des Peripheren und Nebensächlichen und somit dort einreihen darf, wo es um das geht, was heute unbedenklich übergangen und vernachlässigt werden kann. Übrigens, wer einen ausgewachsenen Baum auf das allein 'Wesentliche' reduzieren und ihm mitten in der Wachstumsperiode Blätter, Blüten und Zweige wegschneiden wollte, der dürfte sich dann nicht wundern, wenn er dadurch die Fruchtbarkeit des Baumes, ja sogar sein Leben selbst gefährdete. Maria aber ist nun einmal die schönste Blüte am Baum des Heils; diese Blüte erst hat die kostbarste Frucht an diesem Baum hervorgebracht, unseren Heiland und Erlöser Jesus Christus! Und die Marienverehrung ist darum zweifellos eine besonders schöne Blüte am Baum des christlichen Glaubens und christlicher Frömmigkeit, wie er aus dem Samenkorn des Evangeliums herausgewachsen ist.

Manche haben in den vergangenen 10 Jahren seit Konzilsende aus ökumenischen Gründen gemeint, die Marienverehrung zurückdämmen oder gar aufgeben zu müssen. Ein im echten Ökumenismus erfahrener deutscher Theologe (Rudolf Padberg) aber meint mit Recht: "Diejenigen, die mit Rücksicht auf die evangelischen Brüder ihre ökumenische Gesinnung durch Verzicht auf Marienverehrung unter Beweis stellen, tun den getrennten Brüdern gar keinen Gefallen. Nicht das verlegene Schweigen über Maria, sondern das Gespräch über sie und ihre Stellung im Heilsplan hilft uns redlicherweise weiter. Ein mariologischer Minimalismus entspricht keineswegs den Erfordernissen des echten ökumenischen Denkens. Er gefährdet vielmehr - besonders wenn wir an die Gläubigen der getrennten Ostkirchen denken - die ökumenische Arbeit ganz bedenklich. Es wäre ein gefährlicher Kurzschluss, den überlieferten Reichtum mariologischer Theologie und Verkündigung zu opfern, um angeblich denen entgegenzukommen, die im Protestantismus zum Teil erst in der Epoche der Aufklärung hier einen Rückschritt vornahmen, inzwischen aber da und dort schon ihre Verarmung erkennen".

Der bedeutende Schweizer Theologe Hans Urs v. Balthasar hat kürzlich in einem Artikel über "Die wunden Stellen" in der Kirche seit Konzilsende geschrieben: "Ohne Mariologie - d.h. auch und erst recht ohne Marienliebe und Marienverehrung - droht das Christentum unter der Hand unecht, ja sogar unmenschlich zu werden. Die Kirche wird funktionalistisch, ein Geklapper von 'Strukturen', 'Räten' und 'Organisationen', der die Seele fehlt. Und weil in dieser mann-männlichen Welt nur immer neue Ideologien einander ablösen, wird alles bitter, humorlos und schließlich auch langweilig; die Folge davon? Die Leute laufen in Massen aus der Kirche davon!"

Vielleicht hängt der Rückgang der Marienliebe und Marienverehrung auch zusammen mit dem seit Konzilsende feststellbaren Drang zu einem dogmenfreien, unverbindlichen Christentum. Zu den Dogmen aber, zu den uns klar von Gott geoffenbarten und von der Kirche definierten Wahrheiten, gehören nun auch solche, die die jungfräuliche Gottesmutter Maria, ihre Anfangs und Endbegnadigung und ihre Jungfräulichkeit betreffen. "Empfangen durch den Hl. Geist, geboren von der Jungfrau Maria". Das ist die seit je im Glaubensbekenntnis ausgesprochene Lehre der Kirche. Sie erfährt aber heute in zunehmendem Maß seit Konzilsende auch Ablehnung und Widerspruch, wird in Zweifel gezogen oder uminterpretiert. Manche sind geneigt, diese Lehre abzulehnen, weil sie Unmögliches aussage, als Legende oder mythologische Erzählung betrachtet werden müsse und durch die historisch–kritische Forschung nicht zu beweisen sei. Nicht wenige katholische Christen gestehen heute zum mindesten, dass sie mit dieser Glaubensaussage von der Jungfrauengeburt ihre große Last haben, die ihnen zu schwer dünke. Dennoch sollte man bedenken, dass man sowohl in der katholischen als auch in der orthodoxen Kirche nie aufgehört hat, die Wahrheit von der Jungfräulichkeit der Gottesmutter Maria im Wort zu bekennen und im Lied zu besingen. So ist man aber zweifellos der Wahrheit viel näher als dort, wo man skeptisch alles hinterfrägt. Auch die Theologie muss um der eindeutigen Verkündigung willen wieder klare Auskunft geben: Maria ist Jungfrau und Mutter zugleich, sie hat ohne Zutun eines Mannes ihr Kind empfangen, das mehr, unsagbar mehr ist als ein bloßes Menschenkind!

Was aber von der Verpflichtung gilt, am Dogma von der Jungfräulichkeit Mariens festzuhalten, das gilt genau so von. den anderen mariologischen Dogmen, vor allem auch vom Dogma der Unbefleckten Empfängnis Mariens, das Papst Pius IX. am 8. Dezember 1854 definiert hat, und vom Dogma der Auf­nahme Mariens mit Seele und Leib gleich nach dem Ende ihrer irdischen Existenz, das Papst Pius XII. vor genau 25 Jahren, am 1. November 1950, definiert hat. Wenn Gott Vater ein Geschöpf, ein Menschenkind, zu der einzigartigen Aufgabe auserwählt hat, Mutter seines eingeborenen Sohnes zu werden, dann geziemte es sich wahrlich, dass er dieses Menschenkind auch in besonderer Weise ausrüstete und vorbereitete. Das geschah in der Unbefleckten Empfängnis Mariens, in der sie von jeder Sündenmakel, auch von der der Urschuld, der Erbsünde, freiblieb, um so für den Sohn Gottes eine würdige Wohnstätte zu werden. Und wenn Maria niemals unter dem Fluch der Sünde stand, dann geziemte es sich wahrlich auch, dass sie den Folgen der Sünde entzogen blieb und sogleich am Ende ihres Erdenleben, mit Seele und Leib in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen wurde.

Brüder und Schwestern im Herrn! Ein evangelischer Pfarrer, der uns glaubensmäßig ganz nahe steht, Richard Baumann, hat in seinem neuesten Buch "Mit Maria in die Zukunft" (Johannes-Verlag Leutesdorf am Rhein 1975) u.a. folgendes geschrieben: "Einige Zeit nach dem Konzil ist etwas mir früher Unvorstellbares eingetreten: auch im Bereich der katholischen Kirche hat weithin ein Erkalten Maria gegenüber um sich gegriffen. Und zwar ging das Hand in Hand mit seltsamen Urteilen über das Petrusamt, das Papstamt. 'Der Papst ist jetzt nicht mehr für uns der Fels!' Eine solche Äußerung aus Priestermund wurde mir gezielt berichtet und ich wurde (wegen meiner gläubigen Auffassung vom Petrusamt) wie ein Mensch von vorgestern bemitleidet. 'Maria ist bei uns nicht mehr gefragt!' So hieß es dann weiter. Eine Zukunft ohne lebendige Gemeinschaft mit Maria und dem Papst, dem Fels im Petrusamt, scheint heute einer gar nicht kleinen Schar von Katholiken durchaus die richtige oder nun einmal im Zug der Zeit liegende, unvermeidliche Zukunft zu sein." So hat es der genannte evangelische Pfarrer am nachkonziliaren Katholizismus mit Bedauern festgestellt. Ein Christentum aber, das weder von Maria noch vom Papst mehr etwas wissen will, ist kein katholisches Christentum mehr und ist auch kein schriftgemäßes Christentum mehr. Für uns Katholiken muss es eine Selbstverständlichkeit sein und bleiben, dass Christus seine Kirche auf den Felsen Petri gebaut und den Petrus und seinen Nachfolger zum obersten Hirten seiner Herde bestimmt hat. Aber noch einer anderen Person hat der Herr seine Kirche anvertraut. Sterbend am Kreuz sprach er zu Johannes, der damals unter dem Kreuz die Kirche verkörpert hat, die Worte: "Siehe, deine Mutter!" Papst Leo XIII. hat vor genau 80 Jahren in seiner Rosenkranz-Enzyklika "Adjutricem populi" (vom 5.9.1895) geschrieben:"Nach der beständigen Auffassung der Kirche hat Christus in dem unter dem Kreuz stehenden Johannes das ganze Menschengeschlecht und hier vor allem jene Menschen, die im Glauben mit Ihm verbunden sind in seiner Kirche bezeichnet". Wenn dem aber so ist, dann wurde vom gekreuzigten Heiland seine jungfräuliche Mutter der ganzen Kirche als Mutter übergeben und umgekehrt die ganze Kirche der Mutter Maria anvertraut Wir stehen demnach vor der überraschenden Tatsache, dass Christus seine Kirche einem Mann, dem Petrus, und einer Frau und Mutter, nämlich Maria über geben hat. Das kommt dann auch gleich - wie uns die Apg 1,13f berichtet — an der vor dem Pfingstfest im Abendmahlssaal versammelten apostolischen Urkirche zum Ausdruck, wenn es da heißt, dass alle unter Führung des Petrus einmütig zum Gebet um den Hl. Geist versammelt waren und in ihrer Mitte Maria, die Mutter Jesu. Eine Kirche ohne Petrus und ohne Maria ist nicht mehr die Kirche Christi! Darum war es eines der bedeutendsten Ereignisse auf dem II. Vat. Konzil, als am Ende der 2. Konzilsperiode Papst Paul VI. Maria als Mutter der Kirche feierlich proklamierte. "Damit ist geschichtstheologisch eine Entwicklung abgeschlossen, die unter dem Kreuze begann und nun auf dem II. Vat. Konzil zur höchsten Höhe geführt wurde, leider aber in ihrer Bedeutung noch nicht genügend erkannt und ausgewertet wurde" (R. Graber, Maria und Petrus, in: Catholica, 2/3. Heft 1975, S. 185).

Was das vor 10 Jahren zu Ende gegangene II. Vat. Konzil über Maria gesagt und erklärt hat in voller Übereinstimmung mit der gesamten Überlieferung der Kirche, das hat Papst Paul VI. mehrfach bestätigt. Auch ihm kann man wahrlich keinen Vorwurf machen wegen der betrüblichen Tatsache, dass in den 10 Jahren seit Konzilsende die Marienliebe und Marienverehrung bedenklich abgenommen hat. Papst Paul VI. ist - wie er oft ganz klar gezeigt hat - genau so wie seine Vorgänger ein großer Marienverehrer. Am klarsten zeigen das seine beiden marianischen Lehrschreiben "Signum magnum" vom 13. Mai 1967 und "Marialis cultus" vom 2. Februar 1974. In der Einleitung zu diesem „Apostolischen Schreiben über die rechte Gestaltung und Förderung der Marienverehrung" bekennt Papst Paul VI.: „Die Marienverehrung zu fördern war unser ständiges Bemühen, seit wir auf den Stuhl Petri erhoben worden sind". Ganz im Sinn des II. Vat. Konzils verlangt der Papst aber mit Recht, dass alles, was wir von Maria zu glauben und über sie zu verkünden haben, immer wieder integriert gehört in das Mysterium Christi und der Kirche. Maria darf nicht isoliert von Christus, aber auch nicht isoliert von der Kirche gesehen werden: Maria ist die auf Gott hörende und seinem Wort glaubende Jungfrau, die ganz bereit war, seinen Willen zu erfüllen und nichts als nur dienende, demütige Magd zu sein. Maria ist die unter dem Kreuz in Opferbereitschaft und Treue ausharrende und mitleidende Gefährtin und Gehilfin des Erlösers Jesus Christus. Maria ist die ratende, helfende, tröstende, vermittelnde Mutter im Kreis der Apostel bei der pfingstlichen Herabkunft des Hl. Geistes; sie wurde dabei zur Mutter der Kirche. Das alles darf nicht übersehen werden, wollen wir am unverkürzten Evangelium und damit am wahrhaft Evangelischen und wahrhaft Katholischen festhalten! Mit Recht hat das Konzil über Maria etwas festgestellt, was wir nie vergessen sollten und was uns immer wieder zu eifriger Marienverehrung anspornen sollte: "Maria vereinigt, da sie zu innerst in die Heilsgeschichte eingegangen ist, gewissermaßen die größten Glaubensgeheimnisse in sich und strahlt sie wider!" (Dogm.Konstitution "Lumen genti um" Art.65)