Mariae Himmelfahrt 1975 (Loreto)
Zwei Jesuitenpatres, die an der Päpstlichen Sternwarte in Castel Gandolfo, am Sommersitz des Papstes, tätig sind, haben vor einiger Zeit bei ihren astronomischen Beobachtungen einen neuen Planeten am Sternenhimmel entdeckt. Diese Nachricht hat in mir die Erinnerung daran wachgerufen, dass sich im Bereich der Glaubenslehre, der Theologie, bisweilen ähnliches ereignet wie in der Sternenkunde, in der Astronomie: Durch stets genauere Beobachtung des bestirnten Himmels mit immer besseren und schärferen optischen Instrumenten gelingt von Zeit zu Zeit den Astronomen die Entdeckung eines neuen Sterns, den man vorher noch nicht kannte. Dieser Stern fängt natürlich nicht erst dann, wenn er entdeckt wird, zu existieren an. Er existierte längst vorher. Nur sah man ihn nicht. Die Berechnungen und Beobachtungen waren bis dahin zu wenig exakt gewesen, die Instrumente zu wenig scharf, die Fixierung zu wenig genau. Ähnlich geht es zu bei der Beobachtung jenes wunderbaren Sternenhimmels der Offenbarungswahrheiten, die Gott uns Menschen mitteilen wollte: durch die Patriarchen und Propheten, durch seinen menschgewordenen Sohn Jesus Christus und die Apostel. Durch genaue exakte Beobachtung wird von Zeit zu Zeit ein neuer Stern entdeckt - nicht etwa erst geschaffen! – am Himmel der göttlichen Offenbarung.
So war es z.B. um die Mitte des vorigen Jahrhunderts: Die Theologen, die Gottesgelehrten hatten ähnlich den Astronomen das Teleskop ihrer Forschung auf den "Morgenstern", die Stella matutina, wie Maria in der Lauretanischen Litanei genannt wird, eingestellt. Sie beobachteten den Aufgang dieses "Morgensterns" und entdeckten, dass seine Leuchtkraft und Helligkeit von allem Anfang an völlig fleckenlos ist, mit anderen Worten: die Gottesgelehrten richteten damals ihre Beobachtungen und Untersuchungen auf den allerersten Anfang der Existenz Mariens, und siehe, sie entdeckten immer klarer und zuversichtlicher, dass Maria vom ersten Augenblick ihrer Empfängnis an die "Gnadenvolle" war, frei vom Fluch der Erbsünde, erfüllt vom Glanz der heiligmachenden Gnade. Und Papst Pius IX. ging dann am 8. Dezember 1854 als unfehlbarer oberster Lehrer der Kirche daran, feierlich zu erklären: Die Entdeckung der Theologen stimmt, es ist eine von Gott geoffenbarte Wahrheit, die von allen Christen geglaubt werden kann und muss, dass Maria unbefleckt, frei von der Erbsünde empfangen worden ist!
Im Jahrhundert, das dieser unfehlbaren Erklärung des Papstes Pius IX. folgte, konzentrierten die Gottesgelehrten ihre Beobachtungen nochmals auf den "Morgenstern", auf Maria. Dieses Mal ging es ihnen aber nicht mehr um seinen Aufgang, sondern um seinen Untergang. Und man entdeckte immer klarer und klarer, dass dieser "Morgenstern", wie es im Exsultet der Osternacht so schön heißt, keinen Untergang kennt, sondern in der anderen Welt in ungetrübtem Glanze, in gleicher, nein, in noch größerer Lichtstärke weiterleuchtet; mit anderen Worten: diesmal ging es den Theologen nicht mehr um den Anfang, sondern um das Ende des Erdenlebens Mariens; und siehe: Man erkannte, dass dem strahlenden Anfang in der unbefleckten Empfängnis auch ein helleuchtendes Ende im Erdenleben Mariens entsprechen musste: ein Heimgang Mariens ohne Verwesung, eine Verherrlichung Mariens an Seele UND Leib; man erkannte immer deutlicher und klarer das, was an sich von jeher schon zur göttlichen Offenbarung dazugehörte und was schon seit langer Zeit, mindestens seit dem 6/7.Jahrhundert, in der Kirche allgemein geglaubt und durch ein eigenes Fest gefeiert worden war: Maria ist sogleich am Ende ihres Erdenlebens nicht bloß in ihrer makellos reinen Seele, sondern auch mit ihrem unberührt reinen, jungfräulichen Leib in die Herrlichkeit des Himmels aufgenommen worden, sie hat den Tod in seiner beschämendsten Auswirkung, in der Verwesung, nicht verkosten müssen, sondern hat mit ihrem Sohn und gleich ihrem Sohn den vollen Sieg über die Sünde und über die Folgen der Sünde, zu denen vor allem eben der Tod gehört, errungen; sie thront mit Seele und Leib im Himmel als Königin der Engel und Heiligen. Ihr unbeflecktes Mutterherz schlägt wirklich und wahrhaftig im Himmel für uns Kinder Evas, die wir noch in diesem Tal der Tränen pilgern...
Und was die Gottesgelehrten im Lauf der Zeit, vor allem im Lauf des vergangenen Jahrhunderte von 1854 bis 1950 immer deutlicher am "Morgenstern" des Himmels der göttlichen Offenbarung erkannt hatten, das war nicht eine Sinnestäuschung, auch nicht nur das Wunschbild übertriebener Marienliebe des gläubigen Volkes, sondern war und ist DIE Wahrheit, die ihre Bestätigung fand, als Papst Pius XII. kraft seiner Unfehlbarkeit in Fragen des Glaubens und der Sitte es "ex cathedra" feierlich als Glaubenssatz, als Dogma verkündete: Maria ist sogleich am Ende ihres Erdenlebens mit Seele und Leib in die himmlische Herrlichkeit aufgenommen worden. Und das war nicht so sehr Ausnahme, sondern vielmehr Vorausnahme dessen, was uns allen einmal zuteil werden soll, wenn wir uns — wie Maria — bewähren in der Treue gegen Gottes Gebote und in der Liebe zum dreimal heiligen Gott, der uns dazu erschaffen hat, dass wir Ihn erkennen, Ihn lieben, Ihm dienen und dadurch einmal mit Seele und Leib ewig glücklich werden.
Wir wollen uns am Fest der Aufnahme Mariens in die himmlische Herrlichkeit mit Seele und Leib von ganzem Herzen freuen wie damals vor 25 Jahren, als Papst Pius XII. dieses Dogma am Allerheiligenfest 1950 feierlich definierte und verkündete: Auch wenn uns die Hl. Schrift nichts ausdrücklich darüber berichtet, sondern nur einschlußweise, andeutungsweise davon spricht in den Berichten über die Gnadenfülle der jungfräulichen Gottesmutter Maria, die mit ihrem göttlichen Sohn zusammen zur Schlangenzertreterin geworden ist; auch wenn die Tradition, die mündliche Überlieferung der ersten christlichen Jahrhunderte scheinbar darüber schweigt; es ist dennoch wahr, denn die ganze lehrende und hörende Kirche war bereits durch Jahrhunderte hindurch davon überzeugt, was Papst Pius XII. damals als oberster Lehrer der Kirche durch einen unfehlbaren Wahrspruch bekräftigt, als Dogma definiert und als von Gott geoffenbarte Glaubenswahrheit feierlich verkündet hat: Assumpta est Maria in coelum, aufgenommen ward Maria in den Himmel mit Seele und Leib. Darüber freuen sich die Engel und wir mit ihnen.
Dieser Stern der Glaubenswahrheit von Mariä Himmelfahrt bringt Licht in das Dunkel des furchtbaren Materialismus unserer Zeit. In diesem verhängnisvollen System des dialektischen und praktischen Materialismus ist kein Platz für die Idee Gottes, kein Unterschied zwischen Geist und Materie, zwischen Seele und Leib. Da gibt es auch kein Fortleben der Seele nach dem Tod und darum auch keine Hoffnung auf ein anderes Leben im Jenseits (wie Pius XI. in seiner Enzyklika über den gottlosen Kommunismus geschrieben hat). Dieser furchtbaren, folgenschweren Irrlehre unserer Zeit gegenüber will der Glaubenssatz von der Aufnahme Mariens in die himmlische Herrlichkeit mit Seele und Leib wie an einem konkreten Beispiel zeigen, dass der Geist es ist, der die Materie erst belebt, beseelt und verklärt, dass die Seele unsterblich ist und dass auch sogar der Leib zusammen mit der Seele zu unvergänglichem, ewigem Glück gelangen soll, dass also "die Hoffnung auf ein anderes Leben" (im Jenseits) nicht trügerisch ist, sondern wundersame Erfüllung findet, weil mit dem Tod nicht alles aus ist, sondern dann erst das Leben richtig beginnt.
Und im Dunkel der heutigen materialistischen Verfallenheit ins Irdische, Vergängliche, Fleischliche und Sexuelle will das Dogma von der "Himmelfahrt Mariens" unseren Blick auf das Himmlische, Ewigbleibende lenken, wo sogar dem Leib, dem Fleisch Verklärung und Beseligung zuteil werden soll in ungeahntem Ausmaß.
Und jenen, die in ihrem übertriebenem Körperkult, der auch wieder nur verhängnisvolle Auswirkung des Materialismus ist, der Kirche Leibfeindlichkeit vorwerfen, will das Dogma von der Aufnahme Mariens in den Himmel mit Seele UND Leib an einem konkreten Beispiel zeigen, wie im christlichen Glauben dem menschlichen Leib nicht Verachtung und Geringschätzung sondern ehrfurchtsvollste Wertschätzung zuteil wird, da auch der Leib in der Auferstehung des Fleisches, die an Maria schon Wirklichkeit geworden ist, teilnehmen soll an jener unbeschreiblichen Ehre und Auszeichnung des ewigen Glücks bei Gott.
So möge der Stern dieses Dogmas der Aufnahme Mariens, das wir festlich feiern, hineinleuchten in das Dunkel unserer Zeit. Wir alle aber wollen als gläubige Menschen die Mahnung des großen Marienverehrers des Mittelalters, des hl. Bernhard v. Clairvaux, beherzigen:
"Wer du auch immer seiest: Wenn du merkst, dass du im Strom dieser Welt mehr durch Stürme und Unwetter hin und her getrieben wirst als auf festem Boden zu wandeln, dann wende deine Augen nicht ab von diesem hellen Stern, damit du nicht von den Stürmen verschlungen werdest! Wenn die Stürme der Versuchung sich erheben und du auf die Klippen der Trübsal stoßest, blick auf zu dem Stern, rufe zu Maria! Wenn du von den Wogen des Stolzes, der Eitelkeit, der Verleumdungssucht und der Eifersucht hin und her getrieben wirst, blick auf zu dem Stern, rufe zu Maria! Wenn Zorn, Habsucht oder Fleischeslust dein Herzensschiff bedrängen, blick auf zu Maria! Wenn du ob der Größe deiner Sünden bestürzt durch ein schlechtes Gewissen verwirrt und von Schrecken vor dem Gericht Gottes erfasst wirst, wenn du im Abgrund der Traurigkeit, im Schlund der Verzweiflung zu versinken drohst, denk an Maria, an diesen strahlenden Morgenstern, der dir in allem Dunkel die rechte Richtung weist und den Weg zeigt! Amen.“