HEIMGANG MARIENS
15. August 1982, Loreto
Dormitio, assumptio, coronatio Mariae, Entschlafung und Heimgang Mariens - Aufnahme und Hineinnahme Mariens in die himmlische Herrlichkeit mit Seele und Leib, und Krönung Mariens zur Königin des Himmels und der Erde, das ist das dreifache Thema des heutigen Hohen Marienfestes. Schauen wir uns nur das erste Thema, Mariens Entschlafen, Mariens Heimgang etwas näher an:
Niemand weiß mit Sicherheit zu sagen, wann und wo und wie Maria entschlafen ist. Das Wo ist ungewiss: die einen meinen, sie sei in Ephesus, wo sie beim Apostel Johannes weilte, entschlafen; andere wieder behaupten, das Ende des Erdenlebens Mariens sei in Jerusalem in der nächsten Nähe des Abemdmahlssaales erfolgt, wo heute die von Benediktinern betreute schöne Kirche „Dormitio Mariae - Mariens Entschlafung“ steht, und sie sei dann in Gethsemani, ganz nahe der Stelle, wo der Herr am Ölberg sein Leiden mit der blutigen Todesangst begann, begraben worden.
Und auch das Wann des Heimgangs Mariens ist ungewiss. Aber vielleicht kann man sagen, dass der Herr Jesus, ihr göttlicher Sohn, Maria nicht eher von der Erde abberief, als bis sie ihre Aufgabe und Sendung an der jungen Kirche erfüllt hatte. Nie bedurfte ja Christi Gemeinschaft, die Kirche, dringender der mütterlichen Hilfe Mariens als in den ersten Jahren nach Christi Himmelfahrt. Schon tobte ja damals die Verfolgung der Kirche. Das erste Märtyrerblut war schon geflossen. In diesen Wochen erster schmerzlicher Bedrängnis waren die Augen aller Christen der Urkirche auf Maria, die Mutter Jesu gerichtet. Der unerschütterliche Glaube Mariens und ihre zuversichtliche Hoffnung teilten sich damals der jungen Streiterschar Christi mit. Mariens Anteilnahme an allen Erfolgen und Leiden der Jünger Christi wirkte damals begeisternd, stärkend und ermutigend auf die Glaubenskämpfer. Bei den gottesdienstlichen Versammlungen, in denen die Gläubigen nach dem Bericht der Apg 2,46 in der Freude und Einfalt des Herzens das eucharistische Brot abwechselnd in verschiedenen Häusern brachen, fehlte niemals Maria. Und wenn sie dann bei diesen ersten Eucharistiefeiern aus der Hand eines Apostels den hochheiligen Leib ihres Sohnes empfing, dem sie selbst das Leben gegeben hatte, das Er jetzt geheimnisvoll in der Gestalt des Brotes und des Weines den Seinen zur Speise und zum Trank reichte, so war das jedesmal ein Schauspiel für die ganze versammelte Gemeinde. Welcher Glaube und welche Ergriffenheit mögen sich da im Antlitz der seligsten Jungfrau gespiegelt haben! - Wenn wir dann weiter in der Apg 4,32 vom Leben der ersten Christen in der Urkirche lesen, dass sie ein Herz und eine Seele waren, dann ist nicht zu zweifeln, dass es zu allererst Mariens strahlendes Vorbild war und ihre Anwesenheit in der Urkirche, die alle damals so eng zusammenschloss in ehrlicher, aufrichtiger Liebe, so wie eben nur eine herzensgute Mutter die Familie innerlich zusammenhalten kann.
Es war ein geheimnisvolles Leuchten, das vom Leben Mariens ausging, dem sich niemand entziehen konnte. Unwillkürlich fühlten alle, dass gewissermaßen ein Stück leiblicher Gegenwart Jesu in ihr weiterlebe. Und so sehr sich auch der Kreis der Gläubigen allmählich immer mehr weitete und über Jerusalem, nein, über Palästina hinauswuchs, Maria blieb doch immer die geistige Mitte, die Mutter und das Herz der Gottesfamilie der ersten Christenheit.
Allmählich aber wurde es still um Maria. Die Apostel zogen in alle Welt hinaus, um den Völkern der damals bekannten Welt die Kunde von Jesus und seiner Erlösungstat und seiner Frohbotschaft zu bringen. Nun sah Maria immer klarer ihre Sendung an der jungen Kirche erfüllt.
Und mit der Erkenntnis, dass sie ihre Aufgabe ziemlich vollendet habe, lösten sich auch immer mehr die Bande, die sie noch auf dieser Erde festhielten. Das Verlangen, bei Ihm, ihrem göttlichen Sohn, zu sein, den sie doch über alles liebte, brach jetzt mit unwiderstehlicher Gewalt in ihrem Herzen durch, so dass ihr Leib immer weniger dem großen Drang des Herzens zu folgen vermochte. Die Sehnsucht nach dem Wiedersehen mit Jesus zehrte mehr und mehr ihre Lebenskraft auf. So schlug dann eines Tages vor lauter Heimweh nach Christus im Himmel die letzte Stunde im Erdenleben Mariens.
So ging also auch Mariens Erdenleben zu Ende, ja, aber nicht so sehr deshalb, weil auch sie dem Gesetz des Todes unterworfen war wie wir, die wir in Adam gefallen sind - durch einen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod und so ist der Tod auf alle übergegangen, die in dem einen gesündigt haben - Mariens Erdenleben ging nur deshalb durch den Tod zu Ende, weil sie in allem ihrem göttlichen Sohn gleichen wollte, der sich schuldlos und völlig freiwillig unsertwegen dem Tod unterworfen hatte.
Und weil Mariens Sterben nicht unter dem Fluch der Ursünde stand und keine Strafe für die Sünde war, war ihr Sterben ganz sicher auch ohne jede Todesangst und Unruhe. Was sollte auch jene fürchten, die nie der leiseste Hauch einer Sünde berührt hatte, deren Leben nur ein einziges, einzigartiges "Fiat mihi" dem heiligen Willen Gottes gegenüber war! Ihren eigentlichen Tod, den schweren, den schmerzvollen, hatte Maria schon früher erlitten, unter dem Kreuz auf Golgota, zusammen mit ihrem Sohn. Härteres und Leidvolleres konnte es für sie gar nicht geben als jene Stunde, da die dumpfen Hammerschläge der Kreuzigung der weiten Welt die Wandlung im blutigen Messopfer ankündigten und Maria dann in seltsam schmerzvoller Kommunion den blutigen Leichnam ihres Sohnes auf ihrem Mutterschoß hielt und sie die Danksagung und das Abendgebet betete zu jenem blutigen Karfreitag, der damals sich zu Ende neigte. Damals auf Golgota war der Tod für Maria wirklich Trennung vom Liebsten, das sie besaß. Wenn sie sich nun aber am Ende ihres Erdenlebens, nach Erfüllung aller ihr gestellt gewesenen Aufgaben zum Sterben niederlegte, so bedeutete der Tod für sie nicht mehr Trennung, sondern nur glückselige Vereinigung mit dem Liebsten. Und so starb Maria - wie große Gottesgelehrte wohl mit Recht angenommen haben - nicht an einer Krankheit, sondern nur aus lauter sehnsuchtsvollem Verlangen nach dem Wiedersehen mit ihrem Sohn.
Vielleicht lächelt mancher kalte Verstandesmensch spöttisch über eine solche Behauptung, wenn wir sagen, dass Maria nicht an einer Krankheit, sondern aus lauter Liebe, aus lauter Sehnsucht, aus lauter Heimweh nach ihrem Sohne starb. Und doch kommen auch in unserer oft so liebe-kalten Zeit solche Fälle oder ähnliche Fälle vor, die uns Mariens seligen Heimgang veranschaulichen könnten. So wurde mir über eine gute christliche Mutter folgendes erzählt: Der einzige Sohn dieser Frau, die schon lange Witwe war, hatte vorne an der Kriegsfront des II. Weltkriegs in harter Pflichterfüllung und gestärkt durch die Gnadenmittel des Glaubens den Tod gefunden. Er hatte seiner Mutter sein Leben lang nie Kummer und Sorge bereitet, sondern wirklich nur Freude. Das erste und einzige Leid, das er seiner Mutter bereiten musste, war sein Heldentod. Erst war diese Mutter nach erhaltener Nachricht darüber untröstlich. Dann aber fasste sie sich in christlichem Starkmut und im trostvollen Bewusstsein, das uns Christen der heilige Glaube gibt, dass es ja mit denen, die uns im Zeichen des Glaubens im Tod vorausgegangen sind in die Ewigkeit, ein Wiedersehen geben wird. Und in dieses Wiedersehen in der Ewigkeit mit ihrem Sohn dachte sich diese Mutter in brennender Sehnsucht nach ihrem Sohn immer intensiver hinein, dass sie bald keinen anderen Gedanken mehr kannte als nur den, ihren Sohn möglichst bald wiederzusehen in der Ewigkeit. Und die Sehnsucht nach diesem Wiedersehen wuchs von Woche zu Woche, von Tag zu Tag und wurde immer heftiger und stärker, bis schließlich das liebende Mutterherz diesem brennenden Verlangen nicht mehr gewachsen war. Eines Tages fand man die gute Frau mit frohen, ganz verklärten Zügen, wohl vom Schlag getroffen, tot im Bett auf.
Bei der besten Mutter, bei Maria, die sich wie keine Mutter nach dem besten Sohn, nach dem Herrn und Heiland, gesehnt hat, mag es ganz sicher in noch viel stärkerem Maße so gewesen sein: Nichts hielt sie ja mehr auf Erden zurück, seit ihr Ein und Alles, ihr göttlicher Sohn in seiner Himmelfahrt diese Erde verlassen hatte. - Sie, der ganz sündelose, vollendete Mensch, fühlte sich auch im geringsten nicht mehr an das Irdische gebunden. Sie wusste, dass sie ihre Aufgabe hier auf Erden vollendet hatte. Nichts hielt sie mehr zurück. Mit allen Fasern ihres Mutterherzens sehnte sie sich nach Jesus. Sie hatte Heimweh nach Ihm, ganz großes Heimweh. Und dieses sehnsuchtsvolle Heimweh mag bei Maria den Tod herbeigeführt haben. So wurde ihr Tod zum Heimgang: In osculo Domini, im Kusse des Herrn ging sie hinüber aus dem Tal der Tränen in das ewige Vaterland.
Die Apostel, die auf allen Gemälden nach dem Bericht der noch viel älteren überlieferten Legende ihr Sterbelager umstanden, merkten Mariens Hinübergang kaum. So leise wie das Kelchblatt einer überreifen Rose ins Gras sinkt, so war wohl zuletzt Mariens Sterben: In der Ekstase einer Liebe, die der sterbliche Leib nicht mehr zu ertragen vermochte, ist ihr irdisches Leben erloschen.. Der einzig wirklich vollendete Mensch war in die Vollendung eingegangen. Es folgte auf die Dormitio, auf das Entschlafen noch die Assumptio, die Aufnahme auch des Leibes Mariens in die himmlische Herrlichkeit und dann die Coronatio, die Krönung Mariens zur Königin des Himmels und der Erde.
Beim Gedanken an Mariens seligen Heimgang wollen wir sie heute einmal ganz besonders bitten, dass auch wir einmal einen solchen Heimgang finden und dass wir einmal - gestärkt durch die hl. Sakramente, vor allem durch die Wegzehrung im Sakrament der Liebe, im Stand der heiligmachenden Gnade ebenfalls zur Vollendung gelangen. So beten wir heute einmal mit besonders großem Vertrauen zu ihr: "Hl. Maria, Mutter Gottes, bitte für uns arme Sünder jetzt und in der Stunde unseres Todes".
So hat voll Vertrauen zur jungfräulichen Gottesmutter in der Bnediktinerabtei St. Ottilien P. Claver gebetet, der in der trauten Klosterkirche Tausende aus nah und fern durch sein herrliches Orgelspiel begeistert und betend zu Gott erhoben hat. Auch am 15. August 1940 hatte er wieder mit rauschenden Akkorden, die er der Orgel entlockte, die vielen, vielen Gläubigen, die zur 2. Vesper des Hohen Frauentages zusammengekommen waren, Glaubensfreude ins Herz gespielt. Eben war die Magnificatantiphon der 2. Vesper gesungen worden: „Heute ist die Jungfrau Maria zum Himmelerhoben worden. Freuet euch, denn von nun an herrscht sie mit Christus in Ewigkeit!“ Schon klang das Nachspiel der Orgel in den leisen Tönen der Vox Caelestis aus, da glitten plötzlich die Finger des in Gott versunkenen Künstlers von den geliebten Tasten. Laut und vernehmbar sprach P. Claver noch die Worte: „Deo gratias!“ Dann sank er sterbend von der Orgelbank. Ein Herzschlag holte ihn heim zu Gott an dem Tag, an dem er zum letzten Mal den Heimgang Mariens gefeiert hatte.
Und was die Pilger in Altötting vor dem Gnadenbild der Gnadenmutter rufen, das rufen wir zu Unserer Lieben Frau in der Vollendung ihres Erdenlaufs: "0 Maria hilf, o Maria hilf, o Maria hilf doch mir, ein armer Sünder kommt zu dir, im Leben und im Sterben lass uns nicht verderben. Lass uns in keiner Todsünd´ sterben. Steh uns bei im letzten Streit, o Mutter der Barmherzigkeit. Amen.