Maiandacht 14.5.1974

 

Brüder und Schwestern im Herrn!

Der Hochwürdigste Herr Erzbischof hat mich beauftragt, bei dieser festlichen Maiandacht anlässlich des morgigen 70. Geburtstages des Oberalmer Pfarrers, des Geistl. Rates Harald Forstmaier die Festpredigt zu halten. Die Versuchung ist dabei groß, in einem falschen Personenkult nun eine Laudatio auf das Geburtstagskind zu halten und — fast wie in einem Nachruf das Rühmens- und Lobenswerte Eures Pfarrers herauszustellen. Ich meine aber, dass dies weder Eurem Pfarrer recht wäre, noch dem Sinn einer Predigt bei einer festlichen Maiandacht entsprechen würde.

Ich möchte darum doch zuerst von jener sprechen, an die wir im Maimonat besonders denken und möchte zuerst ganz im Sinn des jüngsten päpstlichen Mahnschreibens "Marialis cultus" vom 23. März 1974 von der Berechtigung der Marienverehrung reden. Gehen wir aus von dem kühnen Wort, das die demütige Magd des Herrn in staunenswertem Wissen um die Größe ihrer eigenen Erwählung und Berufung prophetisch im Magnificat gesprochen hat: "Siehe, von nun an werden mich seligpreisen alle Geschlechter". Maria wusste um ihre Kleinheit und Niedrigkeit dem unendlich großen Gott gegenüber, sie wusste aber auch darum, dass der Allmächtige auf die Niedrigkeit seiner Magd herabgeschaut und Großes, unsagbar Großes an ihr im Augenblick der jungfräulichen Empfängnis des Sohnes Gottes in ihrem Mutterschoß getan hatte, nachdem sie in aller Demut und Ergebung in den geheimnisvollen Heilsratschluß Gottes ihre Einwilligung gegeben hatte: "Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort!" Und nun verkündete Maria prophetisch, dass sie von nun an von allen Geschlechtern der Menschen seliggepriesen werde. "Von nun an", das heißt also, noch zu ihren Lebzeiten werden die Geschlechter der Menschen beginnen, Mariens Lob zu singen und die Erhabenheit und Größe ihrer Mutterschaft preisen. "Von nun an", das heißt also, noch zu Lebzeiten Mariens begann die Marienverehrung und nicht etwa erst nach Jahrzehnten, nach Jahrhunderten als Erfindung der Kirche, wie es der Unglaube gern zu behaupten wagt. Noch zu Lebzeiten Mariens begann man, sie zu preisen, zu benedeien und zu verehren.

Ein vielsagendes Beispiel dafür zeigt uns jenes bekannte Intermezzo, von dem uns bei Lk 11,27-28 berichtet wird: Es war am Abend eines schönen Frühlingstages, vielleicht sogar eines schönen Maientages. Ein von Arbeit im Dienste der Menschen ausgefüllter Tag ging im Leben Jesu zu Ende: Er hatte gepredigt und das Volk unterwiesen in jener gewinnenden, überzeugenden Art, wie göttliche Weisheit sie ihm diktierte; und er hatte die Wahrheit seiner Worte und Lehren bekräftigt und bestätigt durch eine Reihe von Wundern, die ihm seine göttliche Güte diktierte: viele Kranke waren vor der großen Volksmenge wunderbar geheilt worden. Zuletzt hatte Jesus noch von einem Besessenen "einen bösen Geist ausgetrieben, der stumm war; und als der böse Geist ausgefahren war, konnte der Stumme reden", wie der Evangelist Lukas berichtet. Auf das hin konnte das tief beeindruckte Volk sein Staunen über die Wortgewalt und Wundermacht Jesu nicht mehr zurückhalten. Es rief ergriffen aus: "Noch nie hat man so etwas in Israel erlebt!" Die Erkenntnis von der gottmenschlichen Würde dieses Rabbi aus Nazareth brach sich im einfachen, glaubenswilligen Volk Bahn. Aber in der Volksmenge waren auch solche, die das alles nicht ansehen konnten: Pharisäer, erbitterte Feinde Jesu. Verlegenheit, Unwille, Hass waren die Gefühle, von denen sie beseelt waren in dieser Stunde. Und in ohnmächtiger Wut überlegten sie, wie sie den gewaltigen Eindruck, den die Worte und Wunderwerke Jesu auf das Volk gemacht hatten, widerlegen, auslöschen und zunichtemachen könnten. Hass macht bekanntlich blind. Auch in diesem Fall traf dies zu. Und weil die Pharisäer keine Möglichkeit sahen, Jesus sachlich zu widerlegen, warfen sie eine höchst unsachliche Verleumdung Jesu in die Volksscharen hinein: „Laßt euch doch nicht von seinen Worten und angeblichen Wundern beeindrucken. Denn alles, was dieser Jesus tut, ist leicht zu erklären: Es steckt ein anderer hinter ihm. Im obersten der Teufel treibt er die Teufel aus und wirkt er die Wunder!“

Daraufhin wies Jesus ruhig die empörende Beleidigung zurück. Kaum aber hatte Jesus das letzte Wort gesprochen, da klang in die lautlose Stille, die nun auf die überlegene, meisterhafte Zurückweisung der Beleidigung Jesu durch die Pharisäer entstanden war, die Stimme einer Frau. Mitten aus der Volksmenge heraus wagte eine schlichte, einfache, namenlose Frau einen Zwischenruf: Sie hatte mit staunenswerter Hellhörigkeit und Aufgeschlossenheit den ganzen Vorgang der Auseinandersetzung zwischen den Pharisäern und Jesus beobachtet; ihr war die gotteslästerische Beleidigung des göttlichen Meisters ganz besonders nahegegangen. Und als nun der Herr zu sprechen aufgehört hatte, hielt sie es einfach nicht mehr aus, still zu bleiben in der "schweigenden Menge", sie konnte sich einfach nicht mehr zurückhalten, sie musste ihren Gedanken Luft machen. Laut und deutlich rief sie es in die Menge hinein und zum Herrn hin als Wiedergutmachung für die ihm zugefügte Beleidigung: "Selig der Leib, der dich getragen und die Brust, die dich gestillt hat!"

Der Gotteslästerung der Pharisäer wollte diese mutige Frau ein Glaubensbekenntnis und ein dankbares Lob auf die Größe Jesu Christi entgegensetzen, sie tat es aber in echt fraulicher Weise mit dem Gedanken an die Mutter Jesu und sprach mit dem Lobpreis des Herrn auch feinfühlig ein Lob auf die Mutter des Herrn aus: Die Größe des Herrn, seine Macht, seine Heiligkeit standen für sie außer Zweifel, sodass sie es nicht für nötig fand, ihn selber gleichsam zu verteidigen und zu ehren. In fraulicher Art dachte diese Frau weiter: Ohne lange zu überlegen, spürte sie es: die Beleidigung, die die Pharisäer eben Christus angetan haben, fällt auf seine Mutter zurück. Darum sprach sie die Ehrenrettung für Jesus Christus mit einem Lobpreis auf seine Mutter aus: "Selig der Leib...“ Was aber tat Jesus damals? Ließ er den Zwischenruf gelten? Fand er das Lob auf sich und seine Mutter in Ordnung oder wies er es als übertrieben, als unberechtigt und unbegründet zurück? Nein, Jesus bestätigte dieses Lob voll und ganz, ergänzte es aber, was die Lobpreisung seiner Mutter betrifft, in sehr vielsagender Weise und sagte: "0 ja, du hast recht! Doch selig sind vor allem jene, die das Wort Gottes hören und es befolgen!“ Es ist, wie wenn Christus damals hätte sagen wollen: Du mutige Frau, hab Dank für deine Marienverehrung, die ganz in Ordnung ist. Aber merke dir: Meine Mutter ist nicht sosehr wegen ihrer Blutsverwandtschaft mit mir, weil sie mich in ihrem Mutterschoß getragen, geboren und ernährt hat, seligzupreisen, sondern vor allem wegen ihrer Geistesverwandtschaft mit mir, weil sie immer und zu jeder Zeit auf das Wort Gottes gehört, dieses befolgt und danach gelebt hat. Selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen! Nicht bloß meine jungfräuliche Mutter ist seligzupreisen, nein, alle sind seligzupreisen, die nach dem Beispiel meiner Mutter Ernst machen mit dem Hören des Wortes Gottes und mit dem Befolgen des Wortes Gottes. Es liegt in den Worten Christi, mit denen er zum Zwischenruf der mutigen Frau aus dem Volk Stellung nahm, nicht bloß ein Dank an diese Frau für ihr mutiges Bekenntnis und für ihr Lob auf Maria, sondern auch eine kleine, feine, aber ungemein wichtige Korrektur, weil Christus gleichsam betonte: Die leibliche Mutterschaft Mariens ist zweifellos etwas unsagbar Großes, aber diese Mutterschaft ist ja nicht ihr Verdienst, sondern ganz unverdiente Gnade, in der Gott gerade sie dazu erwählt hat. Mariens ureigenstes Verdienst aber ist, dass sie es von Kindheit an so ernst genommen hat mit dem Hören und Befolgen des Wortes Gottes. Damit aber wollte Christus auch sagen, dass dann erst echte, rechte Marienverehrung vorliegt, wenn Maria nachgeahmt wird in ihrer aufgeschlossenen, gläubigen, gehorsamen Bereitschaft dem Wort Gottes gegenüber.

"Selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen!" Dieses Christuswort führt mich nun noch zu jenem, den es neben Maria und ihrem göttlichen Sohn in dieser festlichen Maiandacht zu ehren gilt.

Ist das nicht schönstes Lob auf das Christentum eines Mitmenschen, wenn auf ihn die Seligpreisung des Herrn angewandt werden kann, weil er immer und allezeit nach dem Beispiel Mariens das Wort Gottes hört und befolgt? Das Wort Gottes hören und Gott dann gehören, das Wort Gottes befolgen und dann dem Ruf Gottes folgen, nicht bloß in frohen und schönen, sondern auch in schweren Stunden der Prüfung und der Heimsuchung, wir wissen, dass dies gar nicht so leicht ist, sondern eigentlich nur mit Hilfe der Gnade Gottes verwirklicht werden kann in der Echtheit eines christlichen Lebens aus dem Glauben, der sich in opferbereiter Gottes- und hilfsbereiter Nächstenliebe kundgibt. Ob es sich nicht lohnt, einem Mitmenschen, einem Mitchristen anlässlich des 70. Geburtstags auch dafür einmal zu danken?

Selig, die das Wort Gottes hören und es befolgen! Bei einem Priester, der nun schon durch 42 Jahre seines Priesterlebens und Priesterwirkens um das Hören und Befolgen des Wortes Gottes redlich bemüht war, dürfen wir diese Seligpreisung des Herrn zuletzt noch abwandeln und sagen: Erst recht selig, die das Wort Gottes nicht bloß für sich selbst hören und befolgen, sondern das Wort Gottes auch in Eifer verkünden und darum bemüht sind, dass das Wort Gottes als kostbarer Same im Ackerfeld der Menschenherzen aufgeht und Frucht bringt, 30fache, 60fache, 100fache! Das darf man ja Eurem Seelsorger, liebe Gläubige von Oberalm ohne falsche Schmeichelei nachrühmen, dass er auf allen seinen Seelsorgsposten in Strobl, in Eugendorf, in Gnigl, in Zell am See und in Salzburg-St. Andrä und nun schon 24 Jahren in Oberalm diese Haltung der Gotesmutter eingenommen hat: Das Wort Gottes hören, es befolgen und es verkünden.