Maria, die Jungfrau

 

Eine Anrufung der Namen—Jesu—Litanei lautet: „Jesus, Du Wunderbarer, erbarme Dich unser!" Nach den Berichten der Heiligen Schrift war Jesus tatsächlich eine ganz wunderbare, staunenswerte Persönlichkeit. Schon vom zweijährigen Knaben heißt es: „Alle, die ihn hörten, staunten über sein Verständnis und über seine Antworten" (Lk 2,47). Später staunten seine Landsleute in Nazareth über die anmutigen Worte, die aus seinem Munde flossen" (Lk 4,22). Staunen ergriff Simon Petrus und seine Gefährten wegen des Fischfangs, den sie auf Geheiß des Meisters gemacht hatten (Lk 5,9.10). Staunen, Bewunderung und Ehrfurcht erregeten die zahlreichen Wunder des Gottmenschen. Ganz wunderbar und staunenswert war schon sein Eintritt in diese Welt. Mit ihm brach der Himmel in unsere Erde ein. Seine Geburt ist ein einzigartiges, staunenswertes Wunder, denn an seiner Wiege kniet eine Mutter im Glanz unversehrter Jungfräulichkeit, Maria, Jungfrau und Mutter zugleich, Jungfrau vor, in und nach der Geburt Jesu, des Wunderbaren.

Marias jungfräuliche Würde hat Gott bereits im Alten Testament voraussagen und andeuten lassen. Vor nicht ganz zwanzig Jahren wurden in den Höhlen von Qumran westlich des Toten Meeres Aufsehen erregende Funde gemacht. Eine Art jüdische Ordensgemeinde, die etwa bis zur Zeit der Zerstörung Jerusalems durch die Römer bestand, hatte in diesen Höhlen zweijahrtausende alte Abschriften von Büchern des Alten Testamentes in verschlossenen Tonkrügen geborgen. Zum Wertvollsten gehört eine Abschrift des Buches des Propheten Isaias, die spätestens im ersten Jahrhundert vor Christus, wahrscheinlich aber schon früher angefertigt worden war. Isaias selbst lebte im achten Jahrhundert vor Christus. Das Reich Juda war damals in schwere militärische und politische Not geraten. Isaias sollte den König trösten. Gott werde für diesmal noch Staat und Königtum erhalten. Er stellte auf Befehl des Herrn dem König ein Wunderzeichen zur Beglaubigung seiner Worte in Aussicht. Aber der gottlose König Achaz lehnte ein solches Zeichen ab und forderte dadurch Gottes Zorn heraus. Aber Gott ließ trotzdem durch den Propheten ein Zeichen verkünden, ein Drohzeichen für das ungläubige königliche Haus, ein Heilszeichen für Isaias und die mit ihm Glaubenden: „Siehe, die Jungfrau, almah, wird empfangen und einen Sohn gebären, und sie wird seinen Namen Emmanuel nennen." Schon die Septuaginta, die griechische Übersetzung des Alten Testaments, hat diese Weissagung auf die Jungfrauengeburt gedeutet. Der verheißene Sohn wird ein Geschenk des Himmels sein.

Darauf weist der Name Emmanuel, das heißt, Gott mit uns, hin. Dass die Mutter den Namen gibt ist ein Hinweis darauf, dass kein Vater da ist. Das gottlose Königshaus Judas wird in seinem Mannesstamm nicht zur Menschwerdung des Messias beitragen. Dieser wird der Sproß einer jungfräulichen Mutter sein.

Außer durch die Weissagung des größten Propheten wurde die jungfräuliche Empfängnis und Geburt des Herrn durch Maria im Alten Bund auch durch Berichte vorbereitet, nach denen Männer von Heilsbedeutung wie Isaak (Gen 18) und Samuel (1 Sam 1) von einem nach menschlichem Ermessen unfruchtbaren Mutterschoß empfangen und geboren werden.

Die nächste und auffallendste Vorgeschichte der jungfräulichen Geburt Christi ist die Geburt Johannes´ des Täufers, seines Vorläufers. Dass Elisabeth trotz ihres fortgeschrittenen Alters noch einen Sohn empfangen hat, ist nach dem Wort des Engels geradezu ein Zeichen, das Gott Maria schenkt, damit sie an ihm die Glaubwürdigkeit der Engelsbotschaft von ihrer eigenen, wunderbaren Mutterschaft erkennen kann (Lk 1,8—25.36). An Elisabeths Fruchtbarkeit sieht man, dass bei Gott nichts unmöglich ist. Maria freilich ragt über alle Mütter des Alten Testaments hinaus. Ihre Empfängnis hat zwar mit derjenigen alttestamentlicher Mütter den wunderbaren Charakter gemeinsam. Aber es bleibt ein unüberbrückbarer Unterschied. Die jungfräuliche Empfängnis stellt etwas völlig Neues dar. Auf sie sind alle wunderbaren Geburten des Alten Testamentes hingeordnet. In Maria erreicht das Eingreifen Gottes seinen Höhepunkt. Ihre Empfängnis ist etwas Einzigartiges und Einmaliges. Durch sie erfüllt sich, wie der Evangelist Matthäus (1,23) ausdrücklich hervorhebt, die Prophetie des Isaias (vgl. Schmaus, Katholische Dogmatik, V, 2. Aufl., 120f.). Ein leuchtendes Bild von der Jungfräulichkeit Mariens entwirft der heilige Lukas: „Es ward der Engel Gabriel gesandt zu einer Jungfrau, die mit einem Manne namens Joseph aus dem Hause Davids verlobt war. Der Name der Jungfrau war Maria (Lk 1,26.27). Maria ist entschlossen, ihre Jungfräulichkeit selbst auf das Angebot des Himmels hin, Mutter des Allerhöchsten zu werden, zu wahren. Das geht aus ihrer Frage hervor: „Wie wird das geschehen, da ich keinen Mann erkenne (Lk 1,34)?“

Diese Frage hat in Verbindung mit Marias Verlobung eine verschiedene Auslegung erfahren. Die bisher übliche Erklärung geht vor allem auf Augustinus zurück. Danach hat Maria auf Eingebung des heiligen Geistes hin schon in frühester Jugend das Gelübde beständiger Jungfräulichkeit abgelegt oder wenigstens den festen Vorsatz hiezu gefaßt. Die Verlobung erfolgte, wie heute noch gewöhnlich im vorderen Orient, auf eine Vereinbarung der Eltern mit dem Bräutigam hin, der den Brautpreis entrichtete. Sie hatte eine viel größere rechtliche Wirkung und Bedeutung als die eigentliche Hochzeit, die lediglich in der späteren Heimführung in das gemeinsame Zelt oder Haus bestand. Maria hatte nach der bisherigen Meinung mit dem heiligen Joseph die Führung einer jungfräulichen Ehe vereinbart.

Nach einer anderen, in unseren Tagen vorgebrachten Ansicht, beabsichtigte die hehre Jungfrau die Eingehung einer normalen Ehe ohne vorausgehenden Vorsatz zur Jungfräulichkeit. Ihre Frage an den Engel habe nur den Sinn gehabt: Ich bin zwar verlobt aber noch nicht heimgeführt. Daher wäre eine Empfängnis zum jetzigen Zeitpunkt mit den guten Sitten nicht vereinbar und nicht möglich. Erst auf die Versicherung des Engels hin, dass ihr Kind auf wunderbare Weise, durch die Kraft Gottes empfangen werden solle, habe Maria eingewilligt und sich zugleich zur dauernden Jungfräulichkeit entschlossen. Gegen diese Meinung werden schwere Bedenken vorgebracht, weil sie zu wenig dem Schrifttext entspreche und weil die Heimführung ohne Schwierigkeit zu einem früheren Zeitpunkt hätte erfolgen können. Darum behauptet ein dritter Erklärungsversuch, der heilige Lukas habe aus der ältesten Überlieferung, auf die er sich in seinem Evangelium beruft (Lk 1,1-4), den sicheren Bericht von der völligen Jungfräulichkeit Marias übernommen und diesen Bericht für den Leser in die Form der Fragestellung Marias gekleidet ohne damit sagen zu wollen, dass Maria dem Engel wörtlich so geantwortet habe. (vgl. K. Binder, Eine Anthologie aus den Schriften mittelalterlicher Theologen, in: Dienst an der Lehre. Wiener Beiträge zur Theologie X, 222-226). Welche der drei Ansichten auch richtig sein mag, alle drei halten daran fest, dass die Jungfräulichkeit Marias vor und in der Empfängnis Christi eine klare Lehre der Heiligen Schrift ist.

Auch Marias Jungfräulichkeit in der Geburt Christi hat eine mehrfache Auslegung gefunden. Die ältere, von sämtlichen Kirchenvätern vertretene Lehre geht dahin, dass Christus im Glanz der Verklärung Maria durchdrungen habe, ähnlich wie das verschlossene Grab bei seiner Auferstehung. Andere glauben, es genüge zur Jungfräulichkeit in der Geburt die jungfräuliche Empfängnis, auch wenn die Geburt selbst auf normalem Weg erfolgt sei. Beide Ansichten sind zulässig.

Marias Jungfräulichkeit nach der Geburt ihres göttlichen Sohnes deutet die Heilige Schrift dadurch an, dass Christus seine Mutter am Kreuz dem heiligen Johannes anvertraute, weil keine leiblichen Brüder Jesu da waren. Die Bibel redet zwar wiederholt von sogenannten Brüdern und einmal auch von Schwestern Jesu (Mk 3,31-35 par.; 6,3; Joh 2,12; 7,3.9; Apg 1,14; Gal 1,19; 1 Kor 9,5), nennt sie aber nie Söhne oder Töchter Marias. Wir haben eben unter ihnen nicht leibliche Söhne und Schwestern des Herrn zu verstehen, sondern lediglich nahe Verwandte. Dieser bei semitischen Völkern heute noch übliche Sprachgebrauch ist mehrfach im Alten Testament bezeugt (Gen 12,4; Lev 10,4). Neuestens kommen dazu noch Zeugnisse aus ägyptischen Papyrustexten aus dem zweiten und ersten Jahrhundert vor Christus.

Außerdem erwähnt die Heilige Schrift für zwei der sogenannten Brüder Jesu, nämlich Jakobus den Jüngeren und Joses oder Josef, eine andere Mutter, nämlich die zweite Maria, die unter dem Kreuze stand, eine Verwandte der Gottesmutter (Mk 6,3; 15,47; Lk 24,10; vgl. Mt 27,61; 28,1). Zwei andere „Brüder" Jesu, Simon und Judas, sind als Söhne des Klopas, eines Bruders Josephs erwiesen(vgl. Lexikon für Theol. u. Kirche II, 2. Aufl., Freiburg 1958, 715 u. 716).

Marias unversehrte Jungfräulichkeit, zu der sich schon im zweiten Jahrhundert die Heidenchristen allgemein bekannten, wurde in dieser Zeit von Apologeten wie Aristides (Apol. 15) und Justinus dem Märtyrer (Dialog. cum Tryphone, 84) verteidigt. Als die Kirche auf dem ersten Konzil von Nizäa im Jahre 325 das Glaubensbekenntnis des christlichen Altertums auf eine feste Formel brachte, war der Satz darin: „Natus ex Maria Virgine". Und als die Märtyrer die Sätze des apostolischen Credos mit ihrem Blute salbten, wurde auch dieser Satz des dritten Glaubensartikels mit dem Blut der Märtyrer gesalbt: „Geboren aus Maria, der Jungfrau.“ (vgl. Faulhaber, rufende Stimmen in der Wüste der Gegenwart, Freiburg i. B. 1931, 107)

In der Hochblüte der Patristik wetteiferten die ersten Geistesgrößen des Abendlandes, Ambrosius und Augustinus, im Preis der Jungfrauschaft Marias. Sie wurde von Papst Siricius im Jahre 392 gegen irrige Ansichten in Schutz genommen und von Leo dem Großen in seinem berühmten dogmatischen Brief an den Patriarchen Flavian von Konstantinopel gefeiert. Das Dogma von Marias immerwährenden Jungfräulichkeit wurde auf dem zweiten Konzil von Konstantinopel neuerdings eingeschärft und auf einer Lateransynode vom Jahre 649 ausführlicher dargelegt. Die Kirche besingt es in der Präfation an den Marienfesten und das zweite Vatikanische Konzil hat es neuerdings auf den Leuchter gestellt (Const. dogm. de Ecclesia,53.55.5961.63.65

Welche Bedeutung hat Marias Jungfräulichkeit für die Ehre Christi und für das Heil der von ihm erlösten Menschheit? Antwort: Marias Jungfräulichkeit besagt, dass ihr göttlicher Sohn allein der wesenhaft und von Natur aus Erbsündelose ist. Die Erbsünde wird ja weitergegeben durch zweigeschlechtliche Zeugung. Wo diese fehlt, ist keine Erbsünde vorhanden. So ist Christus der von Natur aus unbefleckt Empfangene. Er steht aber doch durch seine jungfräuliche Mutter im Abstammungszusammenhang mit den ersten Menschen und damit mit unserem Menschengeschlecht und konnte so unser Haupt beim Werk der Erlösung sein. Marias Jungfräulichkeit bedeutet ferner die volle und ungeteilte Hingabe mit Leib und Seele an Christus, den Herrn. Das Dogma bezieht siech zwar zunächst nur auf die leibliche Unversehrtheit Marias. Es gibt aber auch eine Jungfräulichkeit der Seele, die im Gelübde oder Vorsatz beständiger Jungfräulichkeit besteht. Diese Jungfräulichkeit der Seele ist nach der allgemeinen Lehre der Kirche und der Kirchenväter der Heiligen Maria von Kindheit an oder wenigstens vom Augenblick der Verkündigung an zuzusprechen. So steht sie im Glanz des christlichen Jungfräulichkeitsideals vor uns, das sie in Angleichung an ihren göttlichen Sohn verwirklicht hat. Den Reichtum ihrer ganzen Liebe und ihrer Persönlichkeit, alle Kräfte ihrer Seele und ihres Leibes hat sie völlig und ungeteilt in den Dienst Christi gestellt.

Bezaubert von der Leuchtkraft ihrer Reinheit haben von Anfang an Tausende der edelsten Seelen, Jünglinge und Mädchen, zu ihr aufgeblickt und inmitten lockender Versuchungen den Duft ihres Seelenadels bewahrt. So ist sie nach Ambrosius die Lehrmeisterin der Jungfräulichkeit und der vollen Hingabe an ihren Sohn geworden. In ihrem Licht wird die Bedeutung des Zölibats und der Ordensgelübde im Sinn einer vollen Hingabe an Christus und sein Werk erkannt. Sie ist eine Leuchte, die die Vermählten in das verklärte Licht ehelicher Keuschheit rückt, eine Schützerin und Fürsprecherin der von einem zügellosen Pansexualismus bedrohten Jugend und Kinderwelt. Ihr Beispiel ruft zur rückhaltslosen Hingabe an Christus auf und zum Verweilen in seiner Nähe. Mit ihren jungfräulichen Händen führt sie uns alle am liebsten zum Tisch des Herrn, wo ihr göttlicher Sohn, Jesus der Wunderbare, wahrhaft, wirklich und wesentlich zugegen ist, und lässt uns dort die Worte sprechen: „O Jesus, Dir leb' ich, Jesus, Dir sterb´ ich, Jesus, Dein bin ich, im Leben und im Tode!" Amen.